Stadt und Raum – wo und für wen

Am 29. Februar wählt Hamburg. Über die wichtigsten Themen lässt die taz Experten mit Politikern debattieren. Heute im Streitgespräch über das Konzept der „Wachsenden Stadt“: Reinhard Wolf (Handelskammer) und Antje Möller (GAL)

„Wir wollen eine Gesellschaft, die Konversionsflächen baureif macht“: Antje Möller„Wir wollen diese Kleingärten in Einfamilienhausviertel überführen“: Reinhard Wolf

moderation: gernot knödler

taz: Warum muss Hamburg wachsen, Herr Wolf?

Reinhard Wolf: Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Metropolen. Tut man nichts, dann werden wir durch diese Wettbewerbssituation zurückfallen. Wir haben nun mal eine hohe Arbeitslosigkeit, wir haben soziale Probleme und all das kriegen wir nicht mit rückläufigem Steueraufkommen in den Griff.

taz: Teilt die GAL dieses Ziel, Frau Möller?

Antje Möller: Wir wollen, dass die Stabilität dieser Stadt erhalten bleibt, aber wir haben nicht nur das Ziel, dass die Bevölkerung zunehmen muss. Wir brauchen Familien in der Stadt, wir brauchen junge Leute, alte Leute, eine gute Mischung an Arbeitsplätzen, ein vielfältiges Angebot an Kultur und Schule. Das muss man erhalten können.

taz: Wenn sich der Trend im Flächenverbrauch fortsetzt – 140 Hektar pro Jahr – dann ist 2023 Schluss. Die Umweltbehörde schlug deshalb vor, den Verbrauch auf 66 Hektar zu reduzieren. Ist das vereinbar mit dem Konzept Wachsende Stadt?

Wolf: Es ist eines der größten Gerüchte, dass Hamburg keine Flächen habe. Wien hat die gleiche Zahl von Einwohnern auf der halben Fläche und Berlin die doppelte Einwohnerzahl auf der gleichen Fläche. Allerdings ist die Nutzung grüner Flächen der zweite Schritt, der erste Schritt ist zu schauen, wo haben wir Konversionsflächen, wo können wir nachverdichten. Die Stadt muss ja noch lebenswert sein.

Möller: Leider waren die Konversionsflächen zwei Jahre lang nicht wirklich Thema. Die GAL will eine Landesentwicklungsgesellschaft, die allein die Aufgabe hat, Konversionsflächen baureif zu machen. Und natürlich muss man auch an den Hafen ran. Der Flächenverbrauch muss reduziert werden, deshalb gehen wir nicht in die Grüngürtel, sondern wollen den Anteil landwirtschaftlich genutzter Fläche und die Kleingärten erhalten. Auch das gehört zu dem Bild „Hamburg ist eine lebenswerte Stadt“.

Wolf: Auch wir möchten die Stadt nicht zersiedeln, sondern von innen heraus entwickeln. Es kann aber nicht angehen, dass der Flächennutzungsplan bei den Gewerbeflächen einen Rückgang von fast 30 Prozent und bei dem Wohnbauflächen um fünf Prozent gegenüber dem Vorgängerplan hat. Wir müssen zusätzliche Flächen ausweisen.

Möller: Wir haben eine Zunahme an Verkehrsflächen, und das ist schlimm genug. Es war wichtig, Naturschutzgebiete zu vergrößern, und es ist wichtig, so flächenschonend wie möglich zu bauen. Im Übrigen stimme ich bei den Erleichterungen für Bebauungspläne, die Sie wollen, nicht mit Ihnen überein. Ich halte es aus gesamtstädtischer Sicht für fahrlässig zu sagen, man darf Investoren nicht so sehr einschränken etwa bei Art und Maß der Nutzung und den Fristen, in denen sie bauen müssen.

Wolf: Bebauungspläne ja, aber müssen wir die Fensterfarbe vorschreiben?

Möller: Es geht nicht um den Geschmack des Bauprüfers, sondern es geht um das, was in Dimension und Struktur ins Quartier passt.

taz: Der BUND fordert, eine mittlere Planungsebene einzuziehen zwischen Flächennutzungs- und Bebauungsplan, um zu verhindern, dass schleichend Landschaftsachsen und Feldmarken zugebaut werden.

Wolf: Wir halten davon nichts. Wir haben zuviel und nicht zu wenig Planung.

Möller: Bei den Konversionsflächen halte ich eine Entwicklungsplanung für notwendig.

Wolf: Wir auch.

Möller: Ob wir Entwicklungspläne brauchen, diskutieren wir schon lange mit dem BUND. Im Moment kommen wir mit der Bebauungsplanung, dem Flächennutzungsplan und einer Stadtentwicklung aus einer Hand zu Rande. Wir brauchen aber eine Entwicklungsplanung für den Hafen und eine agrarstrukturelle Entwicklungsplanung für das Alte Land.

Wolf: Nicht, dass das unwidersprochen bleibt: Es gibt größten Widerstand der Wirtschaft dagegen, an der derzeitigen Planungssituation im Hafen etwas zu ändern. Wir müssen eher darüber nachdenken, wie wir die Hafenfläche ausweiten können, anstatt sie zu verkleinern. Im Einzelfall, wie etwa beim Harburger Binnenhafen, kann man auch mal was rausnehmen.

Möller: Die Bedeutung des Hafens macht sich längst nicht mehr an den Flächen fest. Die größte Wertschöpfung hat die Logistik. Also ist die Schlussfolgerung: Wir verändern die Grenzen des Hafengebiets. Die Fläche Kleiner Grasbrook wird überplant. Wir können Moorburg aus dem Hafengebiet herauslassen.

Wolf: Um Gottes willen nicht Moorburg oder den Kleinen Grasbrook anfassen! Das ist ein hervorragender Standort für hafenbezogene Logistik.

taz: Für den Sprung über die Elbe bräuchte der Senat aber den Kleinen Grasbrook.

Wolf: Wir haben Leitprojekte definiert und dazu gehört der Sprung nach Süden. Der Kleine Grasbrook ist eine hocheffiziente Gewerbefläche. Wir haben eine alternative Nutzung, bei der wir sofort sagen würden, dann wird verlagert: Das sind die Olympischen Spiele. Veddel und Wilhelmsburg sind für uns außerordentlich wichtige Stadtteile, weil wir im Herzen Hamburgs keinen Niedergang hinnehmen können. Wir wollen Wilhelmsburg zu einem Musterwohngebiet für Familien machen. Eine Gewerbeklammer und in der Mitte ein prosperierendes Wohngebiet, das ist unsere Idee für Wilhelmsburg.

taz: Die Handelskammer will, dass den Familien Ein- und Zweifamilienhäuser angeboten werden. Halten Sie das für vereinbar mit dem Wunsch, die Grundstücke effizient zu nutzen?

Wolf: Wir haben in Wilhelmsburg Kleingärten direkt am Wasser. Wir halten es für sinnvoll, diese Kleingärten schrittweise in Einfamilienhausquartiere zu überführen. Im Wilhelmsburger Osten gäbe es Ersatzflächen.

Möller: Kleingärten sind kein potenzielles Bauland. Sie haben in der Großstadt eine wichtige Funktion. Wir brauchen die Kleingärten für die Menschen, die in beengten Wohnverhältnissen leben. Fast die Hälfte der Menschen, die in den Speckgürtel ziehen, wohnen da zur Miete. Notwendig ist ein viel differenzierteres Wohnungsangebot.

Wolf: Richtig. Aber warum erlauben wir dann nicht Wohneigentum in den großen alten Mehrfamilienhäusern? Die Menschen haben ein Interesse, Wohneigentum zu bilden. In dem Moment, wo wir das ein Stück öffnen, kommt mehr Angebot auf den Markt, gehen die Preise runter und die Menschen bleiben in Hamburg.