Münchhausens Kaffee-Elysium

Eigentlich wollte die promovierte Mathematikerin Ilse Münchhausen-Prüße Lehrerin werden – jetzt betreibt sie Bremens einzige übriggebliebene Kaffeerösterei der alten Art und pflegt so das Erbe ihres Vaters. Eine wohl riechende Foto-Reportage aus dem Faulenquartier von Markus Jox (Text) und Kathrin Doepner (Fotos)

Dieser Geruch. Das Aroma, die Düfte, die einem beim Betreten des winzigen Ladens im Geeren 24 – das liegt ein wenig versteckt im Bremer Faulenquartier – in die Nase steigen, beweisen, dass Kaffee-Werbung doch nicht lügt. Wenigstens nicht, was das Gebräu der Bremer Rösterei Münchhausen betrifft. Es ist die letzte traditionelle Kaffeerösterei in Bremen. Von montags bis freitags wird hier im Kontor Kaffee verkauft, und zwar der eigene, immer zwischen 10 Uhr und 12.30 Uhr. Ilse Münchhausen-Prüße hat die Rösterei von ihren Eltern übernommen. Die Mutter ist 2001 gestorben, der Vater und Gründer des Betriebs, August Münchhausen, im Januar 2003, kurz vor seinem 93. Geburtstag. Bis kurz vor seinem Tod ist die Tochter mit dem kranken Vater, den sie zu sich nach Hause geholt hatte, „fast jeden Tag in die Rösterei gefahren: Hier war er ganz der Alte, das hat ihn aufrecht gehalten“.

1935 hatte August Münchhausen sich als Kaffeeröster selbständig gemacht, 1938 das Haus im Geeren gekauft. Wo früher das pralle Leben spielte, rechts und links der Faulenstraße, rund um das Bamberger Kaufhaus herum, ist’s heute trist. Schräg gegenüber der Kaffeerösterei Münchhausen steht ein schmierig-schmuddeliger Sexshop, aus der Ferne grüßt von einem betongrauen Klotz die verblassende Aufschrift „Tchibo“. Ein nachgerade zynischer Gruß.

Denn eigentlich lohnt sich für einen kleinen Familienbetrieb das Geschäft mit dem Kaffee schon lange nicht mehr. Am Ende der Nahrungskette stehen heute die Multis wie Tchibo und Kraft Jacobs Suchard. Doch August Münchhausen hatte keine anderen Hobbies als eben seine Rösterei, erzählt die Tochter. Außerdem gab es ja stets treue Stammkunden und ein paar Versandkunden. Also betrieb Münchhausen sein Kontor bis ins hohe Alter weiter. Meist klebte ein Zettel an der Tür, „falls geschlossen bitte klingeln“. Der alte Herr kam dann, bei Bedarf, von seiner Privatwohnung die Treppen herunter und verkaufte ein oder zwei Pfund Kaffee. In den achtziger Jahren kam ein zweiter Röster ins Haus, Helmut Backhaus. Backhaus, ein gelernter Speditionskaufmann, röstet bis heute immer montags und donnerstags für seine eigene „Bremer Kaffee- und Teehandelsgesellschaft“ und, wenn die Chefin nicht gerade selbst Hand anlegt (“Kommen Sie, ich röste uns schnell einen“), auch für Ilse Münchhausen-Prüße. Und zwar stets kleine Mengen, damit nichts übrigbleibt oder alt wird. Schließlich ist der Münchhausensche Kaffee nicht vakuumverpackt, da sollte man ihn nicht allzu lange aufbewahren.

Verlässt man das Kontor und durchquert den schmalen Gang hinein in die eigentliche Rösterei – vorbei an alten, ausrangierten Gerätschaften und an einer Toilette, deren Tür einmal zu einem überaus antiquierten Telefonhäuschen gehörte –, betritt man das Allerheiligste, wo Helmut Backhaus voll zu Gang ist: Die Bohnen tanzen in der mannshohen Rösttrommel herum, die 1958 eingebaut worden ist. August Münchhausen hatte das Teil als Ausstellungsmodell auf der Hannover-Messe gesehen und gekauft. Bei Temperaturen zwischen 200 und 220 Grad werden die Böhnchen etwa 10 Minuten lang geröstet – der Kaffee verliert dabei 12 bis 18 Prozent seines Gewichts, das Volumen der Bohnen aber vergrößert sich um etwa ein Drittel. Backhaus zieht mit einem Röhrchen regelmäßig Proben aus der Trommel, überprüft, ob die Bohnen dunkel genug aber noch nicht zu dunkel sind. Passt alles, geht’s ab in ein Auffangbecken, wo der Kaffee mit kalter Luft abgekühlt wird. Dann werden die Bohnen auf den Verlesetisch geschüttet, wo die missratene Spreu vom leckeren Weizen getrennt wird, und zwar von Hand.

„Natürlich trinke ich unseren Kaffee auch selbst“, sagt die 1952 geborene Röster-Tochter. Am besten schmecke ihr die „Festtagsmischung“. Die verträgt Frau Münchhausen-Prüße, obwohl sie „früher gerne den Entcoffeinierten von Eduscho“ getrunken hat. „Ich röste eben so, wie mir mein Vater das vorgegeben hat“, sagt sie, „auf gar keinen Fall zu dunkel.“ Aus fünf Sorten Bohnen besteht der Festtags-Trunk, „reine Arabicas von kleinen Plantagen im Hochland“ Kenias, Äthiopiens, Guatemalas und Costa Ricas. 7,50 Euro kostet das Pfund im Geeren. Man kann dort freilich auch Kaffee aus fairem Handel (Honduras) kaufen oder den köstlich-kostspieligen „Jamaica Blue Mountain“, eine Rarität, die Ilse Münchenhausen-Prüße „nur in ganz kleinen Mengen“ röstet. 100 Gramm kosten schlappe 9,50 Euro. Ganz zu schweigen von den Bohnen, die von der indonesischen Insel Sulawesi in winzigen Säckchen nach Bremen geliefert werden. Die Volksgruppe der Toraja bauten den dort am Berg Sesean an, sagt die Kaffee-Expertin. Eine sündhaft teure Spezialität.

Zum Kaffeerösten ist Ilse Münchhausen-Prüße beinahe gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Mathematik hat sie studiert, machte zwei Staatsexamen für das Lehramt, absolvierte das Referendariat, baute den Doktor rer.nat. und zog ihre vier Kindern auf. Der Vater hatte ihr stets eingeschärft: „Mach’, was Du willst, aber nichts mit Kaffee.“ Die Hoch-Zeit der Bremer Kaffeeröster war, als sie ins Berufsleben eintrat, längst vorüber. Bei Kriegsausbruch hatten noch über 30 Kaffeeröstereien allein auf dem Teerhof gestanden, und in den fünfziger Jahren, als der alte Münchhausen 700 Kilo Kaffee am Tag geröstet hat, gab es in Bremen an die 300 kleine Kaffeeröster und -versender. Doch dann, in den sechziger Jahren, kam „das große Fressen und Gefressenwerden“ auf dem Kaffeemarkt, die Preise stürzten ab, viele kleine Betriebe mussten schließen. Auch in der väterlichen Rösterei sei die Situation „frustrierend und deprimierend“ gewesen, erinnert sich Ilse Münchhausen-Prüße. Heute röstet sie „vielleicht noch 100 Kilo im Monat“.

Aber sie will weitermachen und das väterliche Erbe pflegen. Eine Freundin hilft Ilse Münchhausen-Prüße beim Verkauf im Kontor. Und Herr Backhaus röstet. Gerade hat der Mini-Betrieb 5.000 Kaffeedosen in Auftrag gegeben, bedruckt mit dem eigenen Logo, dem Antlitz des bekannten Namensvetters, des Lügenbarons. Die Kaffee-Erbin liebäugelt mit dem Plan, den Betrieb in eine Erlebnisrösterei umzubauen, ihn in eine Art „arbeitendes Museum“ zu verwandeln. Zumal Bremen, wie sie sagt, „bisher zum Thema Kaffe noch wenig zustande gebracht“ habe – es gebe nur eine winzige Abteilung im Überseemuseum. Schon heute zeigt sie ihr Kleinod gerne „für Gruppen“ und „nach Absprache“. Schulklassen, Bürgervereine, Behindertengruppen hat sie schon mit den faszinierenden Innereien der Rösterei bekannt gemacht. Eine ihrer Töchter begeistert sich für Museumspädagogik, das wäre vielleicht eine Perspektive, hofft Ilse-Münchhausen-Prüße.

In der Tat taucht, wer über den ächzend-knarzenden Linoleum-Boden der Rösterei stapft, gleichsam in längst vergangene Zeiten ein: die Röstmaschine, der hölzerne Auslesetisch, uralte Mühlen, Kaffee-Tüten aus den fünfziger Jahren, Abpackmaschinen, bizarre Dosen. Man inhaliert den Geruch der Nachkriegszeit. Ein Höhepunkt jeder Führung ist die „Kleinkantine Piccolo“, die – so der damalige Werbeslogan des gewieften Geschäftsmanns Münchhausen – eine „Krönung der Pause“ sei und die „Arbeitsfreude hebt durch den Genuß von Bohnenkaffee am Arbeitsplatz“. Frau Münchhausen zeigt das Patent ihres Vaters mit Stolz: Man wirft einen Groschen (früher 10 Pfenning, jetzt 10 Cent) in den Schlitz, dreht an einer Kurbel – und heraus bröselt ein kleines Portiönchen Mahlgut, genau so viel Kaffee eben, dass sich der Durstige in Kantine oder Bahnhof mit heißem Wasser aus dem mitgelieferten „Elektro-Kochendwasser-Bereiter“ namens „Thermo Boy“ eine Tasse frischen Röstkaffees brühen konnte. Besonders wichtig sei, vergaß der korrekte Hanseat Münchhausen in seinem Prospekt nicht hinzuzufügen, „daß die Kleinkantine dem Mundverzehr an Ort und Stelle dient, den Dienstbetrieb nicht behindert und daher nicht unter das Warenhandelsverbot fällt“.

Schließlich betritt der Besucher einen kleinen, dunklen Raum, der früher selbst für August Münchhausen tabu war: das ehemalige Zolllager. Während der Besatzungszeit etwa wurden auf das Kilo Rohkaffe satte 30 Mark Steuern draufgeschlagen, Münchhausen musste den Kaffee vor den Augen der Zollbeamten aus den Import-Säcke holen und abwiegen. Heute ist das Lager offen, der Zoll kommt nur noch einmal im Jahr und kontrolliert, einmal im Monat „muss ich eine Erklärung abgeben“, sagt Ilse Münchhausen-Prüße. Etwa ein Dutzend Säcke mit Kaffeebohnen aus Costa Rica, Kenia und Äthiopien stehen hier herum, der eigenwillige, mysteriöse Geruch von Rohkaffee steigt einem hier in die Nase – überhaupt nicht zu vergleichem mit dem bekannten Duft der Kaffeebohnen, die man kaufen kann: Die für den Koffein-Trank typischen Aromastoffe nämlich bilden sich erst beim Rösten.

Noch ganz berauscht und beglückt von der Geruchs- und Duftorgie in dem kleinen Kaffee-Elysium der Münchhausens blickt man aus dem Fenster – und findet sich schlagartig in der schnöden Wirklichkeit wieder: Im Haus gegenüber kann man, in schmucklosen Büros der Sparkasse, Krawattenmännern bei der Büro-Arbeit zusehen. Und auch das Märchen vom Münchhausen-Kaffee als dem allerletzten in Bremen Gerösteten wird einem noch vergällt. Jacobs soll nämlich, erzählt Frau Münchhausen, zumindest seinen koffeeinfreien Kaffee auch noch in Bremen rösten, nämlich in Hemelingen.

Kaffeerösterei Münchhausen, Geeren 24, Tel. 0421/12100, Mo.-Fr. von 10 bis 12.30 Uhr, http://kaffee.muenchhausen.de