Bildvariationen zwischen Blechkarossen

Agilas, Merivas und Zafiras, mit Bedeutung geschwängert: UdK-Studenten zeigen Videokunst in der Opel-Repräsentanz in der Friedrichstraße

Erst ist er neugierig, dann verdutzt und am Ende nur noch irritiert. Der leicht untersetzte Opel-Liebhaber kann nicht so recht einordnen, was er da sieht. Kühe, ja, Kühe. Weiße Kühe auf einer großen grünen Wiese. Verteilt über insgesamt neun Flachbildschirme. Jetzt bewegen sie sich – aber nicht so, wie sich Kühe eigentlich bewegen sollten, eher zackig, stockend.

Der Mann schüttelt schließlich den Kopf und flüchtet zum Probesitzen in den Speedster-Turbo. Ein Auto, gut. Die Kuh-Installation „Reiselust“ von Javier Benitez und Simone Häckel jedoch hat ihr Ziel erreicht, sie erregt die Aufmerksamkeit eines Menschen, der sich sonst kaum mit ihr auseinander gesetzt hätte. Sie steht nämlich nicht im Museum, sondern im Opel-Image-Palast an der Friedrichstraße. Dessen Management unterhält seit zwei Jahren eine Kooperation mit der UdK. Zum ersten Mal allerdings beherbergen die ehemaligen Proll-Auto-Hersteller jetzt Videokunststudenten mit ihren Werken.

Eineinhalb Jahre produzierten die Studenten um Professorin Maria Vedder unter dem Arbeitstitel „Verschwinden“ die Ausstellung, die jetzt „Dis Appearances“ heißt, denn jedes Verschwinden ist immer auch das Erscheinen, the appearance, von etwas Neuem. In dem mit Flachbildschirmen und Multimedia-Informationsterminals überfrachteten Markenzentrum kommt es schnell zu Vermischungen mit der ebenfalls auf Bildschirmen und Leinwänden präsentierten Videokunst – gewollt oder ungewollt.

Die Werke stehen inmitten von Opels Agilas, Merivas und Zafiras, wobei sie in den besten Momenten die vorhandene Auto- und Opelhistorienausstellung in das Kunstwerk einbeziehen. So zu Beginn der Ausstellung, die ihren Betrachter sehr dezent mit der Idee von der Kunst im Autohaus vertraut macht. Ein blauer Meriva steht da und in eines seiner Seitenfenster wurde ein Plasmabildschirm geschraubt. Darauf das Video „Die Fahrt ins Blaue“ von Laura Geiger, ein digitaler Blick aus dem Fenster, computerkomponierte Fantasielandschaften ziehen eilig vorüber. Die Endlosschleife macht das schnöde Vehikel so zu einem Traumwagen im eigentlichen Sinne: Die sonst dröge Autoschau erscheint im diffusen Flimmerlicht der Installationen plötzlich geheimnisvoll, ja über ihre blecherne Existenz hinaus bedeutungsgeschwängert.

An anderer Stelle dominiert jedoch das bewusste Spiel mit chromblitzenden Kontrasten. Etwa, wenn sich Amy Pattons „Gravity Spot“-Fotos mit Vitrinen vermischen, in denen so illustre Dinge wie ein „Längevariables Schaltsaugrohr“ ausgestellt sind. Vielleicht schon an dieser Stelle, spätestens aber nach dem Eindringen in weitere der gänzlich durch die Künstler infiltrierten Ausstellungsräume erkennt auch der letzte Benzinschnüffler, dass hier Kunst stattfindet. Zwar riecht es nach wie vor nach Gummi und frisch gewachsten Ledersitzen, aber die surrenden, brummenden Klänge der Tonspuren und die kreuz und quer verteilten Fernseher heben sich deutlich von der sauberen Showroomästhetik ab. Insgesamt sollen übrigens etwa die Hälfte aller Besucher nur wegen der Videokunst kommen.

Die Ausstellung offenbart ein Paradox, dem wohl auch einige der Studenten im Berufsleben ausgesetzt sind: Freie Kunst muss sich die Zeit mit Industrieauftragsarbeiten teilen, und beides befruchtet einander. So ist es nur gerecht, wenn für eine Weile der kleine Kinosaal, in dem sonst alte Opel-Werbefilme trällern, den Videoexperimenten eine Projektionsfläche bietet. Es läuft gerade Niklas Goldbachs „Ceasefire“, der einen Nachrichtensprecher zeigt, der nichts anderes tut, als 4 Minuten und 20 Sekunden lang seine Blätter zu sortieren. Der Kommentar auf vertraute mediale Kontexte ist hier, wo experimentierfreudige Kunst im vertrauten Umfeld eines Autohauses dargeboten wird, offenbar bestens aufgehoben: Der untersetzte Opel-Liebhaber jedenfalls blickt gebannt gen Leinwand. CHRISTIAN FISCHER

Die Ausstellung läuft noch bis morgen