Die Liberalen wollen es jetzt nur noch oben mit

FDP-Fraktionschef Martin Lindner hat das unbedeckte Grausen gepackt. Der Politiker fordert deshalb: „Oben-ohne-Verbot in der City“. Bei Verstoß 150 Euro angedacht

von SUSANNE LANG

Endlich! Endlich keine Speckschwarten mehr, die sich vor dem Fleischkühlregal im Supermarkt Unter den Linden vor den eigenen Einkaufswagen schieben und den Griff nach tierischen Eiweißlappen in menschlich-grausige Fleischbetastung verwandeln! Endlich keine bleichen Hängebrüste mehr, die vor den Kleiderbügeln in der Boutiquentrasse jenes edlen Luxus-Shopping-Hauses einer bekannten französischen Nobel-Kaufhaus-Kette an der Friedrichstraße den Blick auf die heiligen Kaufobjekte verbaumeln! Endlich kein Oben-ohne mehr auf den Berliner Prachtboulevards!

Endlich hat sich jemand getraut – endlich macht die FDP auch in dieser Stadt Sinn! Endlich hat sich ihr Fraktionschef Martin Lindner nicht nur ein bedecktes Herz gefasst und sich geoutet: Oben-ohne sei ein Anblick, bei dem es den auch im Sommer feist mit Anzug verhüllten, freidemokratischen Bäuchling grause. Endlich hat er daraus die Konsequenzen gezogen, all seinen liberalofleischunlustigen Mut zusammengenommen und in aller Öffentlichkeit seine Forderung kundgetan: ein „Oben-ohne-Verbot“ muss her, nach Berlin, schnell, gleich, in diesem Augenblick! Endlich unterstützt einer mit all seinem ihm möglichen Verbalvermögen auch unseren langjährigen Schrei nach optischer Gerechtigkeit in dieser Stadt. Weg mit Nackten! Danke FDP, danke Herr Lindner und danke auch Peter Trapp von der CDU, der seinem mutigen Fleischbedeckerkollegen tapfer zur Seite gesprungen ist. Hand aufs dreifach verhüllte Herz: wer hätte auch den Anblick all der Nackten auf Berlins Straßen noch länger ertragen? Lieber hässliche Trainingsanzüge im Neuköllner Kiez! Lieber weiße Schiesser-Achsel über Berliner Muscles! Lieber kriechende Schweißflecke als fließende Schweißströme! Oder, in Lindners Worte gegossen: „In der Innenstadt muss ein gewisser Chic erhalten bleiben, sonst ziehen dort keine zahlungskräftigen Leute hin.“

Und nochmals endlich und ganz eigentlich letztendlich hat einer die Hürden im harten – wie wir es gerne nennen – Business der Politik genommen, sich gegen alle Blockade-Lobbys gestellt und die wahren Probleme dieser Stadt gelöst. Endlich hat einer eine echte Finanzquelle aufgetan, die die Kluft zwischen Ausgaben und Einnahmen des Pleitelandes ausgleichen wird: 150 Euro Strafe pro Verstoß soll es geben, rechtlich abgesichert durch Paragraf 118, „Belästigung der Allgemeinheit“, der da erlaubt, eine „grob ungehörige Handlung“ als Ordnungswidrigkeit mit diesem Strafgeld zu ahnden. Schließlich ist es im prüden Amerika sogar möglich, Verstöße gegen die Entblößungsbestimmungen mit 500 Dollar Strafe oder 60 Tagen Gefängnis zu ahnden. Ach, Berlin, du bald reiche, reiche, superreiche Stadt! Du blühende Landschaft, ganz artig und unschuldig verhüllt! Beinahe möchte man sich vor Freude die Kleider vom Leibe reißen und jubelnd über die Prachtboulevards laufen!

Pflichtbewusste Schreiberlinge, die wir jedoch sind, bringen wir uns lieber konstruktiv ein. Mit einem kleinen Verbesserungs-, nein, Ergänzungsvorschlag der Lindnerschen Forderung. Liebe Kollegen des Berliner Kuriers, denen wir die öffentliche Bekanntmachung der neuen Berliner Sitten schließlich verdanken! Hiermit verpflichten wir uns und euch gleich mit, in Zukunft nie mehr, niemals nie und kein Mal nie mehr folgende Pracht-Worteleien zu denken, gar zu schreiben: „Nackte Tatsachen, Fleischesfrust statt Fleischeslust, schöne Aussichten auf schöne Landschaften, Wasserspiele mit schöner Aussicht, frisch fröhlich bauchfrei, sexy Stopp, topp auch ohne Topp, blanke Busen, freie Bäuche, Lust-Lunch“.

Paragraf fünfhundertsiebenundsechzig des hausinternen taz-Benimmcodes: Verstöße werden mit Abschiebung in die ebenfalls geforderten Oben-ohne-Reservate Grunewaldsee und Halensee geahndet.