Ende der Gewalt als erste Aufgabe

An den künftigen palästinensischen Regierungschef Abu Masen knüpft die israelische Regierung hohe Erwartungen. Doch noch bleibt offen, ob es ihm gelingen wird, sich in den eigenen Reihen durchzusetzen – die Selbstmordattentate gehen vorerst weiter

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Weniger als 24 Stunden nach Beilegung des Kompetenzsstreits zwischen Palästinenserpräsident Jassir Arafat und dem designierten Premierminister Abu Masen (Machmud Abbas) hat gestern ein erneuter Selbstmordanschlag ein israelisches Todesopfer und 13 Verletzte gefordert, 2 davon schwer. Die Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden erklärten sich mit der Brigade „Abu-Ali-Mustafa“, die der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) nahe steht, für das Attentat verantwortlich. Offenbar ohne Bezug zu dem Anschlag rückten am Mittag israelische Soldaten in ein Gymnasium bei Ramallah ein und erschossen zwei junge Männer.

Der Anschlag in Kfar Saba deutet nicht nur auf eine zunehmende Verselbstständigung der militanten Widerstandsgruppen hin, die unabhängig von der politischen Führung agieren. Gleichzeitig ist er ein Signal, dass die Reformen nicht ohne Rücksicht auf die Kämpfer vollzogen werden können. Schon ist die Rede von einer „ersten Machtprobe“ für Abu Masen, dessen schwerste Aufgabe die Eindämmung der Gewalt sein dürfte. Bei jüngsten Treffen mit den islamischen Fundamentalisten in Gaza bekam der künftige Regierungschef zu hören, er solle sich erst einmal um die eigenen Leute, allen voran die Al-Aksa-Brigaden, kümmern, wenn er von Entwaffnung spreche.

Abdelasis Rantisi, Sprecher der Hamas in Gaza, begrüßte das Attentat, das „dem Willen des palästinensischen Volkes entgegenkommt“. Widerstand sei die einzige Option, meinte Rantisi auf telefonische Anfrage. Dem Kabinett Abu Masens räumt er keine großen Chancen ein, da es infolge „amerikanischen und israelischen Drucks“ errichtet werde. Rantisi ist zwar zu einem Dialog mit dem neuen Premierminister bereit. Allerdings „können wir Anordnungen, die einzig aufgrund internationalen Drucks erteilt werden, nicht respektieren“, fügte er hinzu.

Die liberale Zeitung Ha’aretz kommentierte gestern, Israels Premierminister Ariel Scharon verbuche einen großen Erfolg, hatte er doch als Erster kundgetan, dass Arafat „kein relevanter Partner“ sei, und davon schließlich auch die einflussreichen Regierungen der Welt überzeugt. Seit Beginn seiner Amtszeit hatte Scharon jeden direkten Kontakt mit Arafat abgelehnt. Mit Abu Masen will er beraten, sobald die Minister vereidigt sind.

Unmittelbar nach dem Attentat erinnerte Außenminister Silvan Schalom an die alte Regel: „Keine Verhandlungen, solange der Terror andauert.“ Zumindest erwarte man klare Maßnahmen, wie die Eindämmung der antiisraelischen Hetze. Der Minister für nationale Infrastruktur Jossef Paritzky (Schinui) warnte hingegen davor, „Abu Masen zu einer Geisel der Radikalen auf beiden Seiten zu machen“. Auch Jossi Beilin, der als israelischer Delegierter 1993 mit Abu Masen über die Osloer Prinzipienerklärung verhandelte, bezeichnete diesen als einen „sehr virtuellen Premierminister“ angesichts der Tatsache, dass „wir es nicht mit einem Staat zu tun haben“. Sollte Israel seine militärischen Maßnahmen fortsetzen, würde kein Palästinenser Abu Masen ernst nehmen.