„Think big“ gilt nur im Krieg, nicht für den Wiederaufbau

Die „Minimalisten“ im Pentagon haben das Motto „Schnell und billig“. Mitarbeiter des Außenministeriums indes drängen, nicht voreilig den Nachkriegseinsatz zu beenden

„Ich glaube nicht, dass es teuer und lang sein muss. Wir Amerikaner machen alles ziemlich schnell“

WASHINGTON taz ■ Die Verfallszeit des Versprechens betrug genau zwei Monate. Ende Februar gelobte George W. Bush in einer Rede, die USA würden den Irak befreien und anschließend so lange bleiben, bis eine stabile, demokratische und prosperierende Gesellschaft errichtet sei.

Kaum hat nun der Wiederaufbau im zerstörten Zweistromland begonnen, wollen ihn viele in der US-Hauptstadt möglichst schnell wieder beenden oder gar andere Nationen die Rechnungen bezahlen lassen. Zog man noch mit wehenden Fahnen in die Schlacht und war hierfür bereit, Milliarden Dollar zu verpulvern, schrecken nun Kongressabgeordnete und Regierungsbeamte vor ähnlich hohen Summen an Hilfsgeldern und der Aussicht auf eine mehrjährige US-Besatzung zurück.

Der Wiederaufbau Iraks soll getreu dem in den USA auch sonst weit verbreiteten Motto vonstatten gehen: schnell und billig. Federführend bei den „Minimalisten“ ist das Pentagon. „Ich glaube nicht, dass es teuer und lange sein muss. Wir Amerikaner machen alles ziemlich schnell“, meint ein Beamter.

Die Bush-Regierung gibt sich weiterhin verpflichtet, das zerbombte Land zu reparieren und zu modernisieren. US-Firmen wurden bereits Millionenaufträge zugeschanzt. Sie werden sich bei der Reparatur von Flughäfen, Straßen, Kraftwerken und Wasserleitungen eine goldene Nase verdienen. Nach nüchternen Schätzungen im US-Außenamt werde allein die Wiederherstellung dieser Basisinfrastruktur ein Jahr dauern.

Die viel kompliziertere Aufgabe, im Irak demokratische und marktwirtschaftliche Strukturen aufzubauen, möchte man den Irakern überlassen. So misst der oberste US-Zivilverwalter Jay Garner, der das vom Pentagon eingerichtete Büro für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe leitet, seine Amtszeit „in Monaten, nicht in Jahren“.

Nahost-Experten und Mitarbeiter des Außenministeriums drängen das Weiße Haus jedoch, sich nicht voreilig vom angekündigten Nachkriegseinsatz zurückzuziehen. Sie erinnern an die vier- bzw. siebenjährige Besatzungszeit in Deutschland und Japan, wo heute noch immer US-Truppen stationiert seien. Doch das Pentagon, das die neuen außenpolitischen Leitlinien vorgibt, will von historischen Vergleichen nichts wissen und die Debatte auf die Frage verengen: „Was können wir uns leisten?“. Man könne den Irak doch bereits verlassen, wenn sich das Land auf dem Weg zur Demokratie befinde, heißt es. Ihre Sparvariante begründen die Verteidigungspolitiker damit, dass die USA in der arabischen Welt nicht den Eindruck einer neuen Kolonialmacht hinterlassen sollten.

Das von Colin Powell geführte Außenministerium ist jedoch weiterhin davon überzeugt, dass die USA weder Kosten noch Zeit scheuen sollten. Andrew S. Natsios, Direktor der Powell unterstellten Entwicklungsorganisation USAID, betont, die eigentliche Herausforderung sei es, die irakische Psychologie zu verändern, die in Jahrzehnten der Repression geformt worden sei. „Das braucht Jahre.“ Auch unter Wirtschafts- und Finanzexperten heißt es „Think big“. So müssten das gesamte Rechtssystem sowie das staatliche Finanz- und Steuerwesen umgekrempelt werden.

Doch den größten Ausgabenberg verschlingt das Militär. Um die Stabilität des Irak zu garantieren, müssten mindestens 75.000 Soldaten stationiert bleiben, so das Ergebnis einer Studie des Council on Foreign Relations. „Dies ist ein sehr aufwendiges Projekt“, prophezeit Co-Autor James Schlesinger. „Viele Leute wissen zwar, was im Irak getan werden muss. Sie realisieren aber nicht, welche gewaltige finanzielle und zeitliche Verpflichtung dies erfordert.“

Die US-Regierung schätzt den eigenen Beitrag für den Nachkriegsirak auf 20 Milliarden Dollar jährlich. Allein die 75.000 US-Soldaten würden 17 Milliarden Dollar kosten. Der Ökonom William Nordhaus von der Yale University hat anhand von Erfahrungen aus den Friedensmissionen auf dem Balkan errechnet, dass die Kosten zwischen 75 und 500 Milliarden Dollar liegen werden. Er veranschlagt für eine erfolgreiche Operation mindestens fünf Jahre.

Das Weiße Haus hofft, den Großteil der Rechnungen mit den Einnahmen aus den reichen Erdölvorkommen Iraks begleichen zu können. Eine trügerische Annahme, meinen Experten. Der Irak fördert täglich zwei Millionen Barrel Öl, die gerade ausreichen, um im UNO-Programm „Öl für Lebensmittel“ humanitäre Hilfe und die ausstehenden Reparationen an Kuwait und Iran zu begleichen. Massive ausländische Investitionen könnten die Produktion zwar auf 3,5 Millionen Barrel pro Tag steigern, doch würde dies mindestens fünf Jahre dauern.

Die Vorstellung, dass eine mögliche zweite Amtszeit von Bush komplett zur Besatzungszeit mit allen Risiken und Nebenwirkungen werden könnte, löst im Weißen Haus tiefes Unbehagen aus. Dies sei jedoch eine kurzsichtige Perspektive, warnt der Nahost-Kenner Rachel Bronson vom Council on Foreign Relations. „Kurzfristige Erfolge können durch langfristige Instabilität im Irak schnell wieder zunichte gemacht werden.“ Der halbherzige Einsatz in Afghanistan liefere hierfür ein anschauliches Beispiel. MICHAEL STRECK