Träume in Mecklenburg

Hannover 96 wähnt sich am falschen Ort und rutscht gegen Hansa Rostock in den Abstiegskampf

Rostock taz ■ Am Vormittag trat Hannover 96 noch zum gemeinsamen Spaziergang durch Rostock an. Hübsch auffällig in ihren Trainingsanzügen, Reiseleiter Rangnick vorneweg, schlenderten die Spieler mutig durch die Innenstadt. Vorbei an einer Demonstration gegen den Sozialabbau und verstohlen pöbelnden Hansa-Fans.

Später, im Ostseestadion, hatten sie noch immer die Aggressivität von Spaziergängern am Leib. Zum Spaziergang für die Rostocker wurde somit der erste Sieg gegen die Hannoveraner. Rangnick unterstellte seiner Mannschaft, dass „einige wohl dachten, sie wären hier an der Copacabana.“ Auweia. Der Rostocker Pressekonferenz-Moderator wollte dem bedauernswerten Rangnick, der den Journalisten gerade die Wendung „Einzeltaktische Fehler“ diktiert hatte, als Geste des Mitleids ein Getränk servieren. Doch der Bedachte begegnete solcher Gastfreundschaft mit der kalten Schulter – „Das Getränk mache ich mir schon noch selbst“ – und griff beherzt zum Kronkorkenaufbieger.

An ihm hätten sich seine Spieler eine Scheibe abschneiden können. Auf dem Platz träumten sie bei schneidendem Ostseewind, der Brasilianer Kleber trottete dermaßen Gedanken versunken über den Rasen, dass Gegenspieler Tjikuzu das 1:0 durch Magnus Arvidsson (12.) mittels Fallrückzieher von der Strafraumkante einleiten konnte. Klebers Kollege Idrissou vergaß beim Kontemplieren über Rios Strände gar, dass er durch Stehenbleiben an der Seitenauslinie gerade das Abseits aufgehoben hatte. Nur elf Minuten später ließ Kleber erneut Tjikuzu enteilen, und Martin Max (33.) schob dessen Hereingabe unangestrengt zu seinem 13. Saisontor ein. Dann befiel auch noch Bergantin Vinicius das Copacabana-Syndrom, und Max (39.) erzielte unverfolgt Saisontor Nummer 14. Der 20. Doppelpack seiner Karriere stand unter freundlicher Beobachtung von Abel Xavier und Torhüter Marc Ziegler. Clinton Mathis‘ (38.) Anschlusstreffer wäre da ohne die Hilfe der Anzeigetafel gar nicht bemerkt worden.

Für Hannover 96 endete solchermaßen ein harmloser Spaziergang in einer schlichten Katastrophe. Rangnick nach der Partie: „Wir können uns jetzt ausschließlich nach unten orientieren.“ Schade nur um die ganzen schönen Neueinkäufe, mit denen die Niedersachsen nun in den Abstiegskampf ziehen. Aber immerhin wissen sie in Hannover nun wohl, dass die Copacabana nicht in Mecklenburg liegt.

Dirk Böttcher