Fortgesetzter Kurs

Das 3:1 über 1860 München bestätigt Wolfsburgs Trainer Jürgen Röber in der festen Absicht, an seinem Offensiv-Fußball festzuhalten

aus Wolfsburg Peter Unfried

Deutsche Strategen haben es nicht einfach in diesen Tagen. Haben sie keinen Plan und wanken hin und her, gelten sie – zu Recht – als konzeptlos. Haben sie dagegen eine klare Vorstellung von den Dingen und halten trotz Problemen daran fest, gelten sie schnell auch mal als unflexibel und beratungsresistent. In diesem Zusammenhang muss man sich das Gesicht ansehen, das Jürgen Röber machte, als er unmittelbar nach d‘Alessandros spektakulärem 2:0 (19.) Blickkontakt mit der Haupttribüne aufnahm. Der Trainer des VfL Wolfsburg schlug ein paar Fäuste in die Luft, und sein Blick sagte vielleicht sowas wie: Seht her, es geht doch!

Es ist ja nicht so, dass Röber (50) beweisen will, dass die Erde eine Scheibe ist. Viel schlimmer: Er will beweisen, dass man mit dem VfL Wolfsburg mittelfristig sehenswerten Offensivfußball spielen kann – und trotzdem kurzfristig Spiele gewinnen. Das ist fast so schwierig, wie in der Autobranche aus einer Nutzwert- auch eine Premiummarke zu machen. Und trotzdem die gewohnten Gewinne einzufahren.

Insofern war das 3:1 gegen 1860 München am Samstag dringend notwendig, weil es „den Deckel auf einen köchelnden Topf gebracht hat“, wie Geschäftsführer Peter Pander den neuen Stand der Dinge ungewohnt prosaisch zusammenfasste. Die VfL-Fußball GmbH, eine 90-prozentige VW-Tochter, steht zwar in der Tabelle da, wo man immer steht: Doch in und um Wolfsburg war letzte Woche gemurrt worden wie lange nicht mehr. Oder jedenfalls nicht mehr, seit vor fast genau einem Jahr Röber als Nachfolger von Wolfgang Wolf die Arbeit aufnahm. Tenor: Röbers Offensivfußball gehe auf Kosten der Defensive.

„Zum 100.000-sten Mal“, sagt dazu der Trainer: „Wir sind in der Lage, hinten zu stehen und trotzdem diesen Offensivfußball zu spielen.“ Sein Hauptargument: Das Team wird in der Regel nicht ausgekontert, sondern kriegt die Gegentore in Überzahl. Damit bleibt die Frage, ob die „dummen Fehler“ (Röber) durch Feinschliff abzustellen sind, durch „Konzentration“, die Innenverteidiger und 1:0-Torschütze Biliskov für diesesmal gewährleistet sah – oder ob das vorhandene Defensivpersonal schlicht an seinen Grenzen ist. Das Spiel gegen 1860 gewann Röber im Übrigen nicht mit der Entscheidung für einen Torwartwechsel (Ramovic für Jentzsch), sondern für noch mehr Offensive. Tagelanges Grübeln über den Sinn defensiverer Varianten mündete am Samstag in den Gedanken: “Scheiße, was mach‘ ich hier eigentlich?“

Ergebnis: Röber spielte zwar hinten mit Viererkette, brachte aber vorn mit Marko Topic sogar noch einen vierten Stürmer. Nicht dass der überragend gewesen sei. Immerhin bereitete er aber klug d‘Alessandros Treffer vor und trug dazu bei, dass Münchens Abwehr kollabierte.

Man muss allerdings sagen, dass 1860 München ein echter Aufbaugegner war. Ohne vier Stamm-Defensivkräfte war das Team hinten in den vielen und entscheidenden Eins-zu-Eins-Situationen chancenlos. Und vorn mühte man sich, die bekannte Luftschwäche der VfL-Abwehr nicht auszutesten. „Unter aller Kanone“, nannte 1860-Trainer Falko Götz die Leistung, speziell in der ersten Halbzeit. „Man muss fast dankbar sein, dass wir nicht mehr gekriegt haben.“ Keiner widersprach.

Den Unterschied machte im Übrigen selbstverständlich Spielmacher Andres d‘Alessandro. Röbers achselzuckend vorgetragener Standardsatz, man wisse, was man an ihm habe, ist ein Euphemismus. Ohne ihn geht fast nichts. D‘Alessandro ist stets anspielbar, zieht immer mehrere Gegner auf sich, trotzdem kommen seine Pässe auch in komplexen Situationen punktgenau. Und wie er seinen eigenen Treffer zum 2:0 erzielte, das macht ihm so wenig einer nach wie die Vorbereitung von Klimowicz‘ 3:1 (62.). In Teilen der ersten Stunde zelebrierte der Argentinier mit den Gleichgesinnten im Team mal wieder richtig sehenswerten Spektakelfußball.

Und so soll das auch bleiben, sagt Röber. „Wenn du so einen Kurs fährst, kannst du nicht alles hinschmeißen, wofür man vorher gearbeitet hat.“ Erstens wäre das „fatal“ als Signal für die Mitarbeiter, die man monatelang drauf eingeschworen hat. Zweitens glaubt er dran.