berliner szenen Was mit Telefonieren

Auf Arbeitssuche

Der Aspirant sitzt in der S-Bahn nach Reinickendorf und schaut aus dem Fenster, sucht nach Resten der Mauer. Natürlich ist nicht viel zu sehen. Die Stelle, um die sich der Aspirant bewirbt, hat mit Büroarbeit zu tun, damit kennt sich der Aspirant aus. Er kann 10-Finger-Tippen, er beherrscht die nötigen EDV-Programme, er weiß, wie man eine Rechnung aufsetzt. Er hofft nur, dass die Stelle nichts mit Telefonieren zu tun hat, er hat nämlich „kein Talent zum Telefonieren“, wie ihm ein Fastarbeitgeber mal gesteckt hat. Die Strecke wird eingleisig, die Häuser werden weniger. Schon der Fahrplan hat den Aspiranten gestört: Die Bahn war so getaktet, dass er entweder viel zu früh oder zu spät zum Vorstellungstermin erscheint. Er hat sich für zu spät entschieden.

Jetzt steigt er aus, Eichborndamm. Hinter einer Unterführung, in der ein Ruhrpott-Gedenk-Imbiss steht, findet er das kleine Schild der Firma an einem Wohnhaus. Die Firma selbst besteht aus einem Verschlag im Hinterhof. Der Aspirant wird von einem dicken Hund, der auf den Namen eines amerikanischen Geländewagens hört, begrüßt.

Das Gespräch verläuft gut, der Chef scheint sympathisch. Dann stellt der Aspirant aber fest, dass die Stelle unterbezahlt ist und verdammt viel mit Telefonieren zu tun hat. Nicht nur Gespräche annehmen, nein, selbst anrufen ist gefragt. Der Fachausdruck lautet irgendwas mit „Bound“.

Auf dem Rückweg ist der Aspirant froh, den Ausdruck wieder vergessen zu haben. Die S-Bahn ist fast leer, nur ein Punk sitzt in der Nähe und hört sein Handy nicht, weil sein MP3-Player zu laut eingestellt ist. Dann folgt eine Durchsage: „Nächste Station Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik“, der Aspirant muß lächeln. Aussteigen muss er aber erst später.

RENÉ HAMANN