Das Nie der Harmonie

Erstmals ist das Theaterstück „Jeff Koons“ von Rainald Goetz auch in Berlin auf der Bühne zu sehen. Martin Pfaff inszeniert es am Deutschen Theater als Popmärchen zwischen Wirklichkeit und Schein

VON PAMELA JAHN

Geht da was? Da geht was. Wo? Na da. Echt? Ja klar.

Es geht sogar einiges, da vorn auf der Bühne in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, die sich an diesen Abend in zwei durch eine Wand aus Glas getrennten Welten teilt: In ein karges, schwarz verkleidetes Außen, das Hinten, in dem gläserne Fahrstühle und eine Videoleinwand ab und zu auf- und abschweben und Neonröhren flackern; und ein modisch-minimalistisch eingerichtetes grell erleuchtetes Allzweckzimmer davor.

Bespielt wird dieser transparente Nichtort zwischen Tag und Nacht, Diesseits und Jenseits, Wirklichkeit und Schein, von einem zwölfköpfigen Figurenensemble, das Regisseur Martin Pfaff losschickt, um seine Version von Rainald Goetz’ Popmärchen „Jeff Koons“ zu erzählen.

Wie das gehen kann? Nun ja, man weiß es: kein leichter Wurf, diese Vorlage, dieses „Stück“, so ganz ohne Figuren, Regieanweisungen oder eine Dramaturgie im herkömmlichen Sinn – im Grunde die reine Provokation.

Verrenkt haben sich an dem widerborstigen Text-, Wort- und Datenstrom aus mal quälend abstrakter, mal himmelschreiend banaler Lyrik schon einige. Allen voran Stefan Bachmann, der den Stoff 1999 in Hamburg als heilloses Spektakel im dramaturgisch luftleeren Plüschtierland zur Uraufführung brachte.

Allein deshalb kann und will auch dieser Theaterabend kein gewöhnlicher sein. Wo es um die Kunst geht und um Party, um Wahrheit und Banalität, um die große Liebe und den einen Augenblick. Wo es um das alles geht und um das Nichts, ums Dabeisein ebenso wie ums Nichtdabeisein. Zumal in Berlin, wo sich bisher niemand an den Stoff wagte, obwohl doch die Stadt die eigentliche Hauptrolle spielt, in der das alles geht. So zumindest bei Rainald Goetz. Und wieder nicht. Das Künstlerdrama als Gegenwartsanalyse.

Ja und nein. Denn Goetz wäre nicht Goetz, wenn er seinem Pop-Drama nicht mehr als einen halbwertigen Zeitgeist eingeschrieben hätte, wenn er nicht stets unermüdlich selbst den Widerspruch mitdenken würde. Oder wie es einmal heißt: „Es geht / so blöd das klingt / um Harmonie / stimmt gar nicht/ halt, stop, Lüge, falsch / im Gegenteil / es geht ums Nie der Harmonie.“ Zusammengenommen geht es hier nun also um eine ganze Menge.

Und Martin Pfaff riskiert eine Menge. Er weiß, wie raffiniert der Dichter mit seinem Trashgesang in die Irre führt. Er heftet sich dem wirren Klardenker an die Versen und verwirrt nun selbst mit der Inszenierung der Goetz’schen Schöpfungsgeschichte als Volksstück mit Parodien von Figuren, wie sie das wahre Leben schreibt: vom Kunstkritiker bis zum Motz-Verkäufer.

Kein Pop-Theater, zum Glück, kein schrilles Sex-und-Schock-Spiel im mittlerweile nur noch ermüdenden Sinne. Vielmehr wagt Pfaff bei seiner ersten großen Regie am Deutschen Theater einen Kriminaltango, der mit mangelhafter Spannung zwischen den verschiedenen Ebenen der virtuellen und der gespielten Welt hin- und hergleitet.

Elisabeth Trissenaar in der Rolle der Kommissarin Conradi ermittelt in einem Fall, der kein wirklicher ist, und in dem sich dennoch alle anderen Protagonisten verdächtig machen mit ihrem unfreiwillig ins Lächerliche abdriftenden Spiel, ihren abgeschmackten Posen und allzu sinnentleertem Geschwätz. Der Plot um den Künstlerstar, der bei Goetz nur Logo ist und bei Pfaff nun logischerweise mit von der Partie (Horst Lebinsky), entfaltet seinen Rhythmus zwischen rasant Gesprochenem und kurzen Momenten der Stille und des Sex in den Postneunzigern. Claudia Rohners anfangs glasklar voneinander getrennte Bühnenwelten entpuppen sich als einziger Tatort dieser einzigen Farce, was jedoch nur mehr Verwirrung statt Freiheit für die Figuren bedeutet.

Vor allem, wenn sich die Darsteller den Text gegenseitig um die Ohren hauen dürfen in jenen ausgesuchten Augenblicken messerscharfer Smalltalks, dann ergeben sich Witz und Spannung des Stoffs ganz von allein, erlebt die Inszenierung ihre merklichen Höhepunkte. Wenn sie hingegen einzeln ihre Monologe runterreißen, dann geht einem der Wortschwall trotz angestrengtem Zuhörens ab, und Langeweile macht sich breit.

Und so verbissen, wie die Kommissarin an dem Fall arbeitet, hätte man es sich eigentlich schon denken können: Das geht schief, die Euphorie ist unangebracht, was sie aufzudecken hofft, ist längst stadtbekannt: „Das ist der Tod der Kunst, dass sie schon fertig ist und wir noch nicht.“

Dann, am Ende, erobert die Kunst ihr Ja zurück, die bei Goetz immer ein Nein zum Nein bedeutet.

Es lebe die Kunst, die Kritik, die Liebe, der Wahnsinn, der Kitsch. Dran glauben muss trotzdem einer, der Unschuldige. Und Goetz. So kann’s gehn.