Der Edle Achtfache Pfad

Winterspaziergänge (Teil 4): Nach Frohnau fährt man mit der S-Bahn, geht chinesisch essen und besucht das Buddhistische Haus. In der einsetzenden Dämmerung wirkt die kleinstädtische Idylle aber ein wenig unheimlich

Immer, wenn man nach Frohnau fährt, ist man zu spät dran. Aber die Fahrt mit der S-Bahn ist ja auch endlos. Zwischen Zeitunglesen, Leute an- und aus dem Fenster rausgucken hat man das Gefühl, als fahre man zur Ostsee.

Frohnau ist kleinstädtisch am Ludolfinger Platz, mit all diesen Ladenzeilen angenehm wie alle Idyllen in der kindlichen Sonne, und auch ein bisschen bedrückend ab Dämmerung. Es gibt ein schönes, großes, verglastes Blumengeschäft, einen alten Turm, ein Antiquariat mit einem alten Mann drin, bei dem man sofort an „Harry Potter“ denkt, ohne je „Harry Potter“ gelesen zu haben, und einen Reichelt, der weiträumiger und besser sortiert als der in Kreuzberg ist. Obgleich der Reichelt in Frohnau gespenstisch leer ist, während der Kreuzberger Reichelt durchgehend voll ist, schreibt man „Reichelt gleichelt Reichelt“ in das Notizbuch. Und dass die Bürgersteige in Frohnau so sauber sind wie die Fussböden ehemals besetzter Häuser in Kreuzberg.

Im Chinarestaurant sind wir und zwei andere. Am Anfang der Speisekarte steht, dass es auf alle Gerichte 30 Prozent Rabatt gebe. Zwei Entenessen mit zwei Kännchen Jasmintee kosten so viel wie fünf Bier im „Kumpelnest“. Die Einrichtung könnte überall sein, die Musik ist sentimental liebesorientiert. Wir überlegen lange, ob chinesisch oder jugoslawisch, und auch, wer den Kellner danach fragen sollte. Kurz bevor wir uns in eine totale Frageunfähigkeit hineingesteigert haben, sagt der chinesische Kellner „chinesisch“, und das hätt man sich ja gleich denken können.

Auf dem Weg zum Buddhistischen Haus, das 1924 von dem Arzt Paul Dahlke als erstes buddhistisches Zentrum in Europa gegründet wurde, verläuft man sich leicht, wenn man keinen Plan im Kopf hat. Irgendwie ist es einem peinlich, nach dem Buddhistischen Haus zu fragen, also fragt man nach der Straße.

Eine Einfamilienhauseinwohnerin mit Plan und zwei Kindern im Auto sagt, wo’s langgeht, zum Edelhofdamm. Am Ende der Straße steht das Haus auf einem Hügel. Es gibt auch Bäume. Während man in Serpentinen hoch geht, ist es so ähnlich wie im Harz gegen Abend, und im Innern findet man die dämmernde Stille etwas spooky.

Leben im Daseinskreislauf ist letztlich leidvoll. Dies ist zu durchschauen. Ursachen des Leidens sind Gier, Hass, Verblendung. Sie sind zu überwinden. Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Dies ist zu verwirklichen. Zum Erlöschen des Leidens führt ein Weg, der Edle Achtfache Pfad. Er ist zu gehen. So die vier edlen Wahrheiten. Bhante Punnarantana ist seit 1996 Abt hier und sitzt in einem kleinen Zimmerchen neben der Bibliothek.

Im Vorraum des Tempels ist es dunkel. Wir probieren die Schalter und machten dabei vermutlich mehrmals das Licht im Tempelraum an und aus. Eine Frau sitzt da in Decken gehüllt, wohl eine längerwierige Andachtsübung. Ein Mann, wohl koreanischer Abstammung, ist auch da.

Es ist so still, dass es im albernen Innern von einem selbst fast lachen möchte, besonders als das Handy gedämpft vom Vorraum her mit der sowjetischen Nationalhymne klingelt, die man sich mal in gedankenloser Albernheit raufgetan hat.

DETLEF KUHLBRODT