Wende an der Wand

Sudi Erdmann packt acht zusätzliche Kilo in ihren Zweierbob, wird deshalb Weltmeisterin und will sich demnächst wieder natürlich „auspolstern“

AUS KÖNIGSSEE JOACHIM MÖLTER

Die letzte Steilkurve auf der Kunsteisbahn von Königssee heißt „Echowand“, dahinter ruht der berühmte See mit dem berühmten Echo. Es ist die tiefste Stelle der Bahn, eine Spitzkehre, danach geht’s bergauf zum Ziel. Diese Wende macht die „Echowand“ gefährlich, und am Samstag gab sie der Bob-Weltmeisterschaft der Frauen die entscheidende Wendung. Die „Echowand“ wurde Sandra Prokoff zum Verhängnis.

Zweimal fuhr die Weltcup-Gesamtsiegerin aus Winterberg mit der besten Zwischenzeit hinein, zweimal kam sie mit einem Rückstand auf Titelverteidigerin Susi Erdmann (Königssee) heraus. Einmal waren es neun Hundertstelsekunden, das andere Mal acht – dahin waren die 16 Hundertstelsekunden, die Sandra Prokoff und ihre Anschieberin Anja Schneiderheinze als Vorsprung aus den ersten beiden Läufen vom Freitag mitgenommen hatten. Sie hatten also ihren ersten WM-Titel verpasst, so knapp, wie es knapper nicht geht. Sandra Prokoff weinte, und Susi Erdmann fühlte mit ihr: „Es ist ziemlich bitter, mit einer Hundertstelsekunde Rückstand zu verlieren.“ Zumal wenn man die Saison so bestimmt hat wie die 29-Jährige und am Freitag noch Bahnrekord gefahren ist mit 51,08 Sekunden auf der 1.240-Meter-Strecke.

Susi Erdmann hatte mit ihrer Tempomacherin Kristina Bader den letzten Lauf der Rivalin am Bildschirm verfolgt. „Wir haben beide schon abgeschlossen gehabt“, sagte Erdmann, „ich hatte keinen Fehler gesehen bei Sandra.“ Es war auch nur ein kleiner, sagte Prokoff später: „Ich habe die Ausfahrt aus der Echowand nicht optimal getroffen, da kann man nichts mehr machen, weil’s danach bergauf geht.“ Da war sie schon wieder halbwegs gefasst und bereit, Zukunftspläne zu machen: „Ich bin ja nicht gestorben heute“, sagte sie, „das Leben geht weiter. Ich werde jetzt erst mal nach Hause fahren und Wäsche waschen.“ Susi Erdmann steckte ihr nächstes Ziel etwas weiter: „Ich werde ins Warme fliegen zum Tauchen.“

Die Erholung hat sie sich verdient nach diesen turbulenten Tagen. Kurz vor der WM war ja bekannt geworden, dass sich ein Sponsor des deutschen Verbandes zurückzieht, das westfälische Sicherheitsunternehmen Burg-Wächter. Dessen Chef hatten die Nacktfotos von Erdmann nicht gefallen, die sie für den Playboy hatte machen lassen. Damit wolle er nichts zu tun haben, ließ er verlauten. Zudem stand die sportliche Disqualifikation kurz zur Debatte und sorgte für Aufregung – allerdings nicht bei ihr: „Ich wusste von gar nichts“, versicherte sie, „das hat mich also nicht weiter belastet.“

Am Freitagabend hatte sie ihren Bob zu spät zur Materialkontrolle gebracht, was sich als Fehler des Bundestrainers herausstellte. „Deswegen wollten wir die Athletinnen nicht bestrafen“, sagte der Kanadier Robert H. Storey, der Präsident des Weltverbandes FIBT; mit dem Gefährt sei jedenfalls alles in Ordnung gewesen. Das war es natürlich nicht: „Wir hatten Probleme mit der Abstimmung“, erklärte Susi Erdmann. Am Freitag war ihr der Bob einige Male etwas weggedriftet, „auf der Waage haben wir festgestellt, dass er zu leicht war.“ Zufällig lag er um genau die acht Kilogramm unter dem zulässigen Höchstgewicht, die Susi Erdmann in den letzten Wochen infolge eines Infekts abgenommen hatte. Über Nacht beschwerte sie den Bob, mit Erfolg: „Heute lief er ruhiger und stabiler.“ Nächste Saison will sie die Gewichtsdifferenz anders ausgleichen: „Ich denke, ich werde mich über den Sommer hinweg wieder etwas aufpolstern.“

Sie müsse ja nicht hungern, sagte sie am Samstag, auch wenn sie als Bobpilotin nicht zu den Großverdienern des Sports gehört. Für den WM-Titel gibt es 4.000 Euro Preisgeld vom internationalen Verband und 10.000 dazu vom deutschen. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass es quasi der Lohn für die Arbeit einer ganzen Saison ist und noch mit den Anschieberinnen geteilt wird. Denen versprach Susi Erdmann freilich einen Bonus: „Die Kohle vom Playboy zahle ich jetzt als Prämie aus.“