Lettlands letzte Trumpfkarte ist Grün

Der grüne Politiker Indulis Emsis soll neuer lettischer Regierungschef werden und eine Koalition zusammenbasteln

Mit Indulis Emsis könnte die EU im Mai ihren ersten grünen Regierungschef bekommen. Zur Lösung der Regierungskrise, die nach dem Rücktritt des bisherigen Premiers Einars Repse entstanden war, beauftragte Lettlands Präsidentin Vaira Vike-Freiberga am Freitag den Vizevorsitzenden der Grünen Bauernunion mit der Regierungsbildung. Ein Kompromisskandidat aus der zweiten Reihe der politischen Riege Lettlands, nachdem sich die Spitzenmänner der Parteien des rechten politischen Spektrums gegenseitig blockiert hatten.

Er sei der einzige Kandidat, der offen für unterschiedliche Koalitionen sei, begründete Vike-Freiberga ihre Wahl. Emsis kann sich vorstellen, einer Regierung vorzustehen, die ihre Mehrheit in einer Konstellation mit der christdemokratischen „Ersten Partei“ sucht wie auch mit Repses konservativer „Neuer Zeit“. Übrige Partner könnten drei weitere konservative und rechtsliberale Parteien in unterschiedlicher Kombination sein.

Auch Lettlands Grüne ordnen sich selbst auf dem rechten Flügel des Parteienspektrums ein, in dem als „links“ vor allem die Parteien gelten, die sich zum Sprecher der Rechte der russischen Minderheit machen.

Auch wenn Emsis ein Verlegenheitskandidat ist, ist er kein unbeschriebenes Blatt. Zur Politik kam der promovierte Biologe erst mit der Unabhängigkeit Lettlands 1991. In vier Regierungen war er Umweltminister und gehört damit zu den amtsältesten Ministern. Aus dieser Zeit kann er sich auf gute Kontakte zur EU und vor allem zu den skandinavischen Ländern stützen. Der Ostseefonds ehrte ihn 1996 für seine „pragmatische Umweltarbeit“. Die bestand vor allem darin, durch Bau von Kläranlagen und Sanierung von Giftmülldeponien die Umweltsünden der sowjetischen Zeit in den Griff zu bekommen.

Wenn die Rentner Rigas derzeit ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Eisfischen auf der Daugava, nachgehen und den gefangenen Fisch sogar essen können, ist dies nicht zuletzt Emsis’ Verdienst. Mit ihm als Premier dürfte die bislang eher von ökonomischen Interessen geprägte Haltung der baltischen Staaten zur Frage der Sicherheit der Öltransporte auf der Ostsee einer größeren Rücksichtnahme auf Umweltbelange weichen.

Auch was die vorbehaltlose Unterstützung der Irakkriegskoalition durch Lettland angeht, hat der 52-Jährige eigenes Profil gezeigt. Im Dezember 2003 schloss er sich der Einfünftelminderheit im Parlament an und stimmte mit den linken Parteien gegen eine Verlängerung des Mandats der im Irak stationierten lettischen Soldaten. Begründung: „Was haben die USA gefunden. Waffen? Nein, Öl!“

Unklar ist, wie eine von Emsis geführte Rechtskoalition die derzeit heißeste innenpolitische Frage löst: die durch ein neues Schulgesetz zusätzlich eingeschränkte Rechtsstellung der russischen Minderheit. Ein Thema, das auch am Wochenende wieder landesweit zu Protesten führte. REINHARD WOLFF