Kompromiss über Wahltermin im Irak fraglich

Mit dem Verweis auf technische Probleme hält der Chef der US-Besatzungsbehörde, Paul Bremer, Wahlen im Irak frühestens ab März 2005 für möglich. Dabei beruft er sich überraschend auf die UNO. Doch die schweigt bislang

GENF taz ■ Die USA haben am Wochenende den Kompromiss über allgemeine, freie Wahlen im Irak spätestens drei Monate nach der Einsetzung einer Übergangsregierung am 30. Juni, der sich nach Vermittlungsbemühungen der UNO abzeichnete, in Frage gestellt – überraschenderweise unter Berufung auf die UNO. Laut dem Chef der US-Besatzungsbehörde Paul Bremer gegenüber dem TV-Sender al-Arabija sind Wahlen frühestens im Zeitraum März bis Juni 2005 möglich. Zur Begründung führte er „wichtige technische Probleme“ an – darunter das Fehlen von Wählerverzeichnissen und einer Wahlgesetzgebung. „Der Zeitbedarf zur Lösung dieser Probleme“ so Bremer, werde „von der UNO auf zwölf bis 15 Monate geschätzt.“

In der New Yorker UNO-Zentrale war für diese Darstellung gestern keine Bestätigung zu erhalten. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hatte vergangenen Donnerstag zwar die Position der Bush-Administration unterstützt, wonach die bis dato vor allem von der schiitischen Mehrheit geforderten Wahlen noch vor der von Washington für den 30. Juni geplanten Machtübergabe an eine vorläufige Regierung in Bagdad „nicht möglich“ seien. Auf eine Empfehlung für einen konkreten Wahltermin nach dem 30. Juni hatte der UNO-Generalsekretär aber auch auf mehrfache Nachfragen von Journalisten ausdrücklich verzichtet.

Auch Annans Irak-Sondergesandter, Lakhdar Brahimi, der vorletzte Woche im Irak die Möglichkeiten für Wahlen erkundet hatte, hat bislang jede konkrete Festlegung vermieden. Kurz vor der Erklärung Annans hatte aber der einflussreiche irakische Schiitenführer Ali al-Sistani, mit dem Brahimi ausführliche Gespräche geführt hatte, seine Forderung nach Wahlen noch vor dem 30. Juni aufgegeben und erklärt, ein Wahltermin bis spätestens zum 30. September sei „akzeptabel“.

Durch diesen Ablauf der Ereignisse war der Eindruck entstanden, es sei ein Kompromiss erzielt worden. Selbst wenn das so war, dürfte dieser Kompromiss nach den Äußerungen Bremers nicht mehr existieren. Und zwar unabhängig davon, ob sich der US-Verwalter zu Recht oder zu Unrecht auf die UNO berufen hat – eine Frage, die möglicherweise bereits heute geklärt wird.

Damit werden die Einigungsbemühungen auf ein Verfahren zur Bestimmung einer provisorischen Regierung bis zum 30. Juni zusätzlich erschwert. Annan hatte angekündigt, er wolle hierzu im Laufe dieser Woche Vorschläge machen. Klar war nur, dass das von den USA vorgesehene Modell zur Bestimmung dieser Regierung durch regionale und nationale Versammlungen, in denen von Washington ausgesuchte Delegierte eine Sperrminorität gehabt hätten, keine Chance mehr hat.

Als wahrscheinlichste Alternative zeichnete sich vergangene Woche eine Erweiterung des 25-köpfigen provisorischen Regierungsrates in Bagdad auf eine Nationalversammlung mit bis zu 125 Mitgliedern ab. Diese Versammlung hätte die vorläufige Regierung zu bestimmen. Unklar und heftig umstritten sind jedoch die Kriterien für die Erweiterung des Regierungsrates.

Hinter der Absicht der Bush-Administration, freie Wahlen bis mindestens März 2005 hinauszuzögern, stecken vor allem zwei Motive: So soll der Urnengang nach den US-Präsidentenwahlen vom 2. November stattfinden, damit etwaige Turbulenzen während und nach den irakischen Wahlen bei den US-WählerInnen nicht den Eindruck einer zumindest oberflächlichen Stabilisierung im Irak trübt, die sich Washington von der Machtübergabe an eine vorläufige Regierung zum 30. Juni erhofft. Zudem soll diese vorläufige Regierung genug Zeit haben, die – teils völkerrechtswidrigen – Dekrete Bremers in irakisches Recht umzusetzen. ANDREAS ZUMACH