Eine Jubelnummer für Europa

Die Grünen gründen eine „Europäische Grüne Partei“ und sind ganz, ganz harmonisch gestimmt. Aussprache und Widerspruch finden nicht statt

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Nichts klappt. Das Dream-Team der europäischen Spitzenkandidaten der Grünen fällt vor allem durch interne Abstimmungsschwierigkeiten auf. Cohn-Bendit legt sich ins Zeug, findet sich aber schnell im Abseits. Erst setzt die Presse den Kandidaten schwer zu, und dann verlieren die sich noch im Klein-Klein mit den italienischen Grünen. „Höchstens drei von uns sind gut“, meckert einer, und der andre winkt ab: „Ein Winning Team sind wir nie und nimmer. Das ist ein Desaster.“

Ein Desaster ohne Folgen allerdings: Richtig schlecht sahen die Euro-Grünen bloß bei den Fußballspielen aus, mit denen sie am Freitag ihr Meeting eröffneten und die sie mit 1:5 gegen die Auslandspresse und 0:3 gegen die italienischen Grünen verloren. Danach aber sollte nichts mehr schief gehen bei der Veranstaltung unter dem Motto „Let's have a Party!“ Ein Motto, zwei Kongresse: In Rom traf sich die Europäische Föderation der Grünen-Parteien zu ihrem 4. Kongress, der zugleich der erste der neuen Europäischen Grünen Partei war.

Wenn man es denn Kongress nennen will; eher schon boten die Grünen ein dreitägige Auftaktkundgebung zu den Wahlen fürs Europaparlament im Juni, in der die Regie nichts dem Zufall überließ. Los geht es mit der Musik, die Ennio Morricone extra für das Ereignis komponiert hat. Im großen Saal des Auditoriums – des neuen Konzertzentrums von Rom – wird es dunkel, zu getragenen Klängen erscheint auf dem Megabildschirm eine Möwe, die über blaues Meer segelt, dann Friedensdemos, ein Protestierer, der von Polizisten weggetragen wird, brennende Tanker, verölte Strände, verrostete Giftfässer. Applaus, die Aufforderung des Tagungspräsidiums: „Bitte setzt euch hin, jetzt kommt Minister Fischer, der ein sehr enges Zeitkorsett hat“, und dann: „Alle Kandidaten auf die Bühne für ein Foto mit dem Minister.“

Der redet aber nicht über Friedens- und Umweltproteste, sondern beginnt erst mal mit dem Eingeständnis, sich „etwas komisch“ in seiner Haut zu fühlen als Außenminister, der auf einem internationalen Grünen-Kongress spricht. Zu „Europe as a global player“ soll er sich äußern, und er liefert ein emphatisches Bekenntnis zur europäischen Integration, inklusive Verneigung vor den „weisen Männern und Frauen“, die das geeinte Europa aus der Taufe gehoben haben. Auch die Grünen kommen vor: als die Kraft, die mit der Gründung einer europäischen Partei „die erste politische Kraft“ ist, „die mit Europa Ernst macht“. Fischer – wie alle andren auf dem Kongress – nämlich wiederholt es wie ein Mantra: Nach der konservativen EVP oder der sozialdemokratischen SPE sind die Grünen keineswegs die Letzten, die eine Partei aus der Taufe heben. Die andren betrieben bloß Etikettenschwindel, wenn sie ihr loses kontinentales Bündnis „Partei“ nennen – die Grünen dagegen sind jetzt Partei. Sie ziehen zusammen in den Wahlkampf, mit einer abgestimmten Kampagne, mit einem gemeinsamen Programm. Und – das schließlich macht Minister Fischer zum gefeierten Superstar des Kongressauftakts – sie wollen regieren: „Es ist schön, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, aber es ist hässlich, wenn die Geschichte sich auf die falsche Seite hinbewegt.“

Eine Aussprache findet nicht statt – schon deshalb nicht, weil Fischer gleich weitermuss, zu Italiens Außenminister Franco Frattini, um dessen Ärger über den Berliner Dreiergipfel zu mildern. Aber Aussprache ist sowieso nicht vorgesehen, auf dem ganzen Kongress nicht. Pekka Haavisto, Vizebürgermeister von Helsinki und einer der beiden Sprecher der Euro-Grünen, erinnert am Samstagmorgen etwas wehmütig an die ersten europaweiten Treffen. Damals in Dover, „da waren ein Haufen Hippies, da wurden Socken in Saal gestrickt, und da herrschte ein Riesenchaos, angefangen bei der Einhaltung der Tagesordnung“. Aber dann tröstet sich Pekka Haavisto doch: „Wer hätte gedacht, dass dieser chaotische Haufen einmal eine europäische Partei zustande bringen, ja sogar Minister haben würde.“

Und ein fast preußisches Reglement. Auch am Samstag sind die Leute handverlesen, die zu den zwei Themen – Grüne an der Macht, Grüne und EU-Verfassung – sprechen; die 220 Delegierten, die Gäste dürfen dann schriftliche Fragen einreichen. Die Auswahl der Podien sorgt für eine eindeutige Akzentsetzung. Keiner, der sich nicht klar zum europäischen Einigungsprozess bekennen und den Geist von Rom beschwören würde, den Geist, der 1957 die Gründungsväter der Eurpäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) genauso beseelte wie 2004 den EGP-Gründungskongress. Vorbei die Zeiten, als Grüne auf die EU schimpften als undemokratischen Laden, vorbei die Zeiten, als sie gegen Brüssel ein „anderes Europa“, ein „Europa von unten“ verlangten. Grüne Kritik gibt es weiterhin, grüne Forderungen nach einem „nachhaltigen Europa“, das die bürgerlichen und sozialen Rechte aller wahrt, inklusive denen der Immigranten, das auf Konfliktprävention setzt – vor allem aber: das seine Integration entschlossen vorantreibt.

Selbst dieses radikale Integrationsbekenntnis wird nicht zum Gegenstand des Konflikts – schon allein deshalb nicht, weil die Europaskeptiker in den grünen Reihen, die Dänen oder die Schweden, genauso wenig auf einem der Podien vertreten sind wie die nationalistischen Schotten. Die Integrationsbefürworter, vorneweg die Deutschen – die neben Fischer Renate Kühnast, Michaele Schreyer, Anna Lührmann, Daniel Cohn-Bendit aufbieten –, haben das Heft immer in der Hand. Krach droht nur zu einer einzigen Frage. Beim Delegierten-Dinner treten plötzlich spätabends barbusige brasilianische Tänzerinnen auf, ganz als wäre der Kongress ein von Heiner Geißler ausgerichteter CDU-Parteitag, und am nächsten Tag muss sich Grazia Francescato von den italienischen Grünen Asche aufs Haupt streuen: „Wir bedauern das sehr, wir wussten davon nichts. Die Tänzerinnen wurden vom Lokal bestellt.“

Sonst aber inszeniert die EGP ihre „Einheit in der Vielfalt“, zum Beispiel als am Samstag die Chefs und Chefinnen der 32 Mitgliedsparteien aus 29 Ländern, Russland, die Ukraine, Georgien inklusive, zu Bachmusik nacheinander auf die Bühne kommen, um die Gründung der neuen Partei zu feiern, während auf dem Großbildschirm eine anfangs total kahle Sonnenblume für jedes Land ein neues Blütenblatt erhält. Bloß der Däne setzt mit seinem Anti-EU-T-Shirt und einem etwas mürrischen Gesicht dabei einen Akzent der „Vielfalt“ der Positionen, während die anderen ins Blitzlichtgewitter strahlen. Und spätestens am Sonntag dann hat die „Einheit“ triumphiert, haben die Grünen auch gezeigt, dass sie in Zukunft als Speerspitze der europäischen Integration gelten wollen: Feierlich unterzeichnen sie im Kapitol – in ebenjenem Saal, in dem 1957 die Römischen Verträge signiert wurden – ihre neue Partei-Charta.