Herbstgedanken

Goldener Glitzer

Am Tag danach war die graue Glocke ein Stückchen weiter am Fernsehturm hochgerutscht, der Fahrradreifen war wohl über Nacht platt geworden und die Schuhe drückten nun beim Laufen. Das Laub war zum Ausrutschen gedacht. Das Schliddern wurde durch lautes Pfeifen überspielt, so wie wenn man heimlich über rote Ampeln fährt.

Die Stadt sah an diesem Morgen aus, als müsste man sie fotografieren. Auf der Oberbaumbrücke lagen viel zu große Pflastersteine, die beklebt waren mit goldenem Glitzer. Um sie herum hatte jemand eine weiße Linie gezogen, wie am Start einer Rennstrecke, nur direkt vor der Steinmauer. Die Porzellanscherben schienen zu dieser Installation irgendwie dazuzugehören. Vielleicht auch der Blick auf die Brandmauer schräg gegenüber, auf die ein Straßenkünstler einen großen weißen Mann gemalt hatte. Mit Handschellen aus Uhren an den Gelenken und Krawatte am Hals. Wohl eine Antwort auf die Car-Loft-Problematik im Kiez. Als hätten solche Künstler nicht selbst zur Gentrifikation beigetragen! Vielleicht wurden sie für Bilder wie dies gar von den bösen Investoren bezahlt, murmelte ich und atmete dabei fast eine Wespe ein. Sie roch an Hals und Mund, verfing sich in den Haaren, so wie der Liebhaber in der letzten Nacht.

In dem Café mit der großen Schokoladen-Auswahl standen dann viel zu laute junge Männer, mit viel zu dicken Daunenjacken, viel zu dicht hinter mir und battelten um Stolz und Vorurteil per Praktikantinnen-Bashing. Dabei ohne Blick für die Rosen-Schokolade, an der ich mir später ein Stück vom Backenzahn abbrach. Das Abtasten der scharfen Kante mit der Zunge ist immerhin eine prima Nebenbeschäftigung, um im Grau über das neue Glitzern nachzudenken. LAURA EWERT