Führung durch das Dickicht

„Jagden und Formen“ von Wolfgang Rihm und Sasha Waltz im Radialsystem überzeugt durch seinen trockenen Witz und eine dadaistisch anmutende Körpersprache

Der Komponist Wolfgang Rihm, geboren 1952, ist nur etwas über zehn Jahre älter als Sasha Waltz. Aber er hatte sich den Ruf des Schwierigen und intellektuell Anspruchsvollen schon lange erworben, als der Erfolg der Choreografin Anfang der Neunzigerjahre etwa begann: Sie wurde für ihre frühen Tanzstücke gerade deshalb so geliebt, weil da alles von einer so leichten und spielerischen Intelligenz war. Sie schloss eine Kunstform auf und machte sie einem breiterem Publikum zugänglich, und das gelang ihr zuletzt sogar in zwei Operninszenierungen; sein Ruhm blieb einer des Inner Circle der Neuen Musik. Diese Opposition schwingt noch immer mit in ihrem ersten gemeinsamen Abend, „Jagden und Formen (Zustand 2008)“, der im Mai im Frankfurt Premiere hatte und jetzt zweimal im Radialsystem aufgeführt wurde.

Tatsächlich schickte der Komponist der Aufführung gut gelaunt ein paar Erläuterungen voraus: Wie er über zwölf Jahre lang immer wieder an einer „Jagd nach der Form“ gearbeitet habe, einer Form, die sich immer wieder für die Aufnahme von Neuem und Eigenwilligkeiten der Instrumenten und Stimmen öffnete. Zwölf Jahre für etwas mehr als eine Stunde Musik: Kein Wunder, dass das dann an vielen Stellen so dicht gepackt erscheint.

In diese Aggregatzustände des Werdens, aufgeführt vom Ensemble Modern, findet die Choreografin unterschiedliche Wege hinein. Klein, hibbelig und hart sind die ersten Gesten zu einer hastenden und unruhigen Musik. Hände zischen aus dem Gelenk vor wie Schlangenköpfe, Fußsohlen blitzen plötzlich auf, Schultern und Knie hüpfen, ein asymmetrisches Humpeln von zwei, drei Tänzerinnen betont das Ruckelnde und Wackelnde, bis schließlich die ganze Compagnie wie Puppen, deren Mechanik gestört ist, durch das Orchester und über die Bühne marschiert. Die Komposition sieht der Kunst beim Werden zu, die Dada-Körper-Bilder der Choreografie humpeln dieser Anstrengung manchmal etwas despektierlich und mit einem trockenen Witz hinterher.

Oft sind es kleine Szenen, die Elemente der Musik herausstellen: wie etwa eine Klarinettistin, die, von drei Tänzern getragen, einem barocken Posaunenengel sehr ähnlich sieht. Ab der Mitte der Komposition aber entwickelt die zuvor noch zerstreute Choreografie größere, dramatische Bögen, in dem das bisher noch abstrakte Geschehen sich mit Emotionen anreichert. In einer langen Sequenz trudeln erst einzelne Tänzer in tiefen Spiralbewegungen durch den Raum, und schon da denkt man an Feuerräder. Dann drehen sie paarweise, einer dem anderen wie ein breites Segel um die Schultern gelegt, und rühren so die Atmosphäre um. Bis sie wieder einzeln immer schneller trudeln und schließlich taumelnd umsinken. 2008 war ein besonderes Jahr für Sasha Waltz & Guest. Sie feierten nicht nur das 15-jährige Bestehen mit einem Fest, sondern auch Wiederaufnahmen, an Schaubühne, Staatsoper und außerhalb Berlins. „Jagden und Formen“ war indes das einzige neue Stück der Choreografin und man musste in Berlin lange darauf warten. Tatsächlich ist die Aufführung, bei der 14 Tänzer zusammen mit den 25 Musikern des Ensemble Modern unter der Leitung von Franck Ollu auftreten, so teuer, dass sie, obwohl vielfach gefördert, auch jetzt nur mit Hilfe von Sponsoren zustande kam. Entstanden ist eine Choreografie von großer Anschaulichkeit und Körperlichkeit, in der sich, wie in Rihms Komposition, ständig etwas Neues entwickelt. KATRIN BETTINA MÜLLER