„Neuseeland ist langsam“

Beim großen Worldtronics-Festival im Haus der Kulturen der Welt tritt heute der House-Produzent Recloose auf. Er ist von Detroit nach Neuseeland gezogen. Sein neues Album orientiert sich am Funk

Zum zweiten Mal findet das Festival Worldtronics im Haus der Kulturen der Welt (HKW) statt. Pakistan, Brasilien, Neuseeland und Rumänien bilden die Schwerpunkte. Der New Yorker Avantgardist Arto Lindsay hat für Freitag ein Brasilien-Programm aus Maracatú, Blaskapellen und Lärm zusammengestellt. HKW-Musikchef Detlef Diederichsen hat in Pakistan trippig-psychedelische Bands aufgetan, die am Samstag spielen werden. Am Sonntag kommen Vertreter des superhippen Bukarester Minimal Techno. Für heute Abend hat Hans Nieswandt, Musiker, DJ und Buchautor, einen Partyabend mit neuseeländischer Musik zusammenstellte – unter anderem mit Recloose. Beginn: 20 Uhr.

INTERVIEW JULIAN WEBER

taz: Ihr neues Album heißt „Perfect Timing“, ein seltsamer Titel für einen Musiker, dessen Alias, Recloose, sich von dem Wort Einsiedler ableitet.

Matt Chicoine: Der Titel ist sarkastisch gemeint. Das Album steckt voller Bezüge auf die Achtzigerjahre, aber vielleicht kommt meine Musik auch genau zum falschen Zeitpunkt. Klangtechnisch ist sie ein herber Rückfall in die Zeit von Midi-Elektronik und ihren monströsen Maschinen. Diese Mischpult-Funk-Ära, wie ich sie nennen möchte, ist nicht gerade angesagt im Moment. Zudem hat die Produktion sehr viel Zeit verschlungen. „Perfect Timing“ war alles, nur nicht perfekt. Es ging immer wieder etwas schief. Von daher versuche ich mit meinem Titel geschäftstüchtigen Optimismus auszustrahlen, der sicher noch von der astronautischen Videospielästhetik auf dem Cover untermauert wird.

Was verbinden Sie mit Funk?

Funk löst bei mir ein Gefühl aus. Er verführt mich dazu, so zu tanzen, wie ich es eigentlich gar nicht kann. Das ist fast magisch.

Warum ist Funk Mitte der Achtzigerjahre plötzlich von der Bildfläche verschwunden?

Man könnte sagen, dass Funk sich 1983 in eine elektronische Version verwandelt hat. Damals wurde zwischen den einzelnen Genres wie Disco, Funk oder P-Funk noch gar nicht so stark unterschieden, das war alles dasselbe Kaliber. Auch, als immer mehr elektronische Elemente dazukamen und man den Funk Bionic Boogie nannte.

Electro, die Musik der Breakdancer, hat dann einige Klangelemente des Funk übernommen. Als die Grooves und Arrangements des Funk digitalisiert wurde, haben ihn auch die Hiphop-Crews gesampelt – so überlebte er in übertragener Form. Aber Anfang der Achtziger bedeutete Funk, dass da die Typen am Mischpult herumhantierten und einen Song der, sagen wir mal, Gap-Band, in einen Wahnsinns-Track verwandelten. Da gab es viele Kellerproduzenten und tolle Ideen. Zum ersten Mal habe ich den Sound mit 13 Jahren wahrgenommen. Damals lebte ich in einem Vorort von Detroit.

Und was bezwecken Sie heute mit Gesangsharmonien, die sich an diesem Sound orientieren? Warum kombinieren Sie ihn mit harten, metallisch klingenden Beats?

Angefangen habe ich ja als House-Produzent in Detroit, der rein elektronische Musik veröffentlicht und als DJ tingelte. Seit einigen Jahren lebe ich nun in Neuseeland und habe dort auch eine Band am Start. Momentan versuche ich, mich mit Funk neu zu erfinden. So entsteht die Musik jetzt beim gemeinsamen Jammen im Übungsraum. Ich denke mir seltsame Bläsersätze und Arrangements aus, programmiere die Drums, und meine neuseeländischen Musikerkollegen bringen dazu jede Menge anderer Einflüsse mit.

Von Detroit nach Neuseeland zu ziehen, ist ein ziemlicher Schritt. Wie ergeht es Ihnen dort als Amerikaner?

Ich bin ein typisch zurückhaltender, misstrauischer Detroiter Großstädter. Besonders schwierig war es für mich anfangs, damit klarzukommen, wie unvoreingenommen die Neuseeländer auf mich zugegangen sind. Das hat sich dann auch auf meine Musik übertragen. Kühle elektronische Popmusik macht in diesem Umfeld überhaupt keinen Sinn. Die Naturerfahrung ist so mächtig, dass man sie in Neuseeland mit seltsamer Rockmusik oder Reggae verarbeitet. Und ganz wichtig, alles muss zähflüssig sein. Ich bin ins Land der episch langsamen Musik übergesiedelt.

Aber Ihre Langsamkeit klingt delikat, nicht kitschig, das ist ein Unterschied!

Mir persönlich ist rhythmische Vielseitigkeit sehr wichtig, auch wenn mellow grundsätzlich schwierig zu vermarkten ist. Aber es ist doch so, dass niemand mit einer einzigen Laune durchs Leben geht. Musik ist eine Reflexion von verschiedenen Launen und Situationen. Erst wenn Musik regelrecht vor sich hin plätschert, macht die Peitsche wieder Sinn. Vor langer Zeit habe ich mit Carl Craig und dem Innerzone Orchestra zusammen mit kubanischen Musikern gespielt. Die waren zunächst sehr angetan vom 4-to-the-Floor Beat. Nach 15 Minuten forderten sie aber vehement einen anderen Rhythmus. Ihnen fehlte einfach die rhythmische Dynamik.

Besteht trotz der epischen Langsamkeit weiterhin Kontakt zu den Pionieren des hypnotischen Groove in Detroit?

Na klar, Carl Craig kommt immer mal in Neuseeland vorbei. Manchmal verschlägt es mich auch nach Europa und man läuft sich dort über den Weg. Einmal im Jahr besuche ich die alte Heimat. Und sie ziehen mich auch nach sieben Jahren Neuseeland noch auf. Detroit ist eine prägende Erfahrung, und jeder kennt das Gefühl so genau, dass er weiß, wie er mit dieser Erfahrung umzugehen hat. Einmal Detroit, immer Detroit.