Heftiger Streit im EU-Konvent

Neue Vorschläge Giscard d‘Estaings zur Machtverteilung zwischen Europäischem Rat, Parlament und EU-Kommission sorgen für Ärger unter den Konventsmitgliedern

BRÜSSEL taz ■ Der schon länger von Beobachtern erwartete und von einigen Delegierten angedrohte Eklat im Konvent zur EU-Reform ist da. Am Donnerstagnachmittag konnten die 105 Konventsmitglieder endlich selber nachlesen, wie das Präsidium unter Leitung von Valéry Giscard d‘Estaing künftig die Macht zwischen Rat, Parlament und EU-Kommission verteilen will.

Zuvor hatte Giscard, dessen selbstherrlicher Führungsstil zu-nehmend für Aufruhr sorgt, über die Presse verbreiten lassen, wie er sich das neue Europa vorstellt. Zwar schwächte das Präsidium die Vorschläge ab – doch der Ärger war nicht mehr abzuwenden. „Wenn ich als Vertreter eines kleinen Landes in ei-ner bedeutenden Zeitung lese: Giscard will die Macht den gro-ßen Staaten übertragen, dann habe ich große Schwierigkeiten, meine Kompromissfähigkeit aufrechtzuerhalten“, wetterte Österreichs Konventsvertreter Kaspar Einem und schwenkte wütend die aktuelle Ausgabe von Le Monde.

Der Vorsitzende der Liberalen im Europäischen Parlament, Graham Watson, bezeichnete den Vorschlag als „feindliche Übernahme durch die Verfechter eines Europas der Regierungschefs“. Und der einzige Grüne im Konvent, der Österreicher Johannes Voggenhuber, sagte: „Das ist die Verhöhnung unserer Arbeit eines ganzen Jahres. Giscards Vorschläge bestätigen den Verdacht, dass er den Konvent als Legitimationskulisse missbraucht.“

Zwar räumten die meisten Redner ein, der „gerupfte“ Vorschlag des Präsidiums sei Giscards Version weit überlegen. Doch hält auch er am hauptberuflichen Ratspräsidenten fest, der für zweieinhalb Jahre von einer qualifizierten Mehrheit im Rat gewählt werden soll. Über die Frage, wann eine „qualifizierte Mehrheit“ erreicht ist, hatte es schon beim Gipfel in Nizza an-lässlich der letzten Reform viel Streit gegeben. Das Präsidium schlägt nun vor, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten (ab Mai nächsten Jahres 13), die mindestens drei Fünftel der EU-Bevölkerung umfassen (dann 270 von 450 Millionen EU-Bürgern) einer Meinung sein müssen.

Die EU-Kommission dagegen will, dass schon 50 Prozent der Bevölkerung eine qualifizierte Mehrheit darstellen, wenn die Hälfte der Regierungen einem Vorschlag zustimmt. Das würde die kleinen Mitgliedsländer etwas besser berücksichtigen. Den-noch ist für die „Zwerge“ auch dieser Vorschlag eine Zumutung – darüber macht sich auch das Präsidium des Konvents keine Illusionen. Andererseits könne niemand das Argument Giscards zurückweisen, dass die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft keine kontinuierliche und effiziente Arbeit im Rat erlaube, sagt Präsidiumsmitglied Klaus Hänsch.

Nach der Erweiterung habe der Europäische Rat rund 60 Mitglieder, einschließlich der Außenminister und Kommissionsmitglieder, und brauche dann eine „Leitungsstruktur“. Damit auch die kleinen Länder ein paar Posten abbekommen, sollen die Vorsitzenden der Ministerräte ebenfalls für längere Zeit gewählt werden.

Der Präsidiumsvorschlag, betont Hänsch, stärke alle Institutionen gleichermaßen. Das gelte vor allem für die Kommission, die auf 15 Mitglieder verkleinert werden soll. Der Kommissionspräsident soll vom Rat vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Er kann sich seine Kommissare aus jeweils drei Vorschlägen wählen, die jedes Land nach der Wahl eines neuen Parlamentes unterbreiten muss. Die Länder, die dabei nicht zum Zuge kommen, sollen delegierte Kommissare ohne Stimmrecht nach Brüssel schicken.

Vollkommen neu wäre der Posten eines europäischen Außenministers. Er würde von den Staats- und Regierungschefs be-stellt und soll gleichzeitig Vizepräsident der Kommission sein. Der heimliche Anwärter auf diesen Job will es dabei aber nicht bewenden lassen. In der EU-Verfassung, sagt Joschka Fischer, müsse auch ein gemeinschaftlicher europäischer diplomatischer Dienst verankert werden.

DANIELA WEINGÄRTNER