Erst der Terror, dann die Justiz

Einen Tag vor Beginn der Anhörung zur israelischen Mauer in Den Haag: Ein palästinensischer Selbstmordattentäter sprengt sich in Jerusalemer Linienbus in die Luft und tötet acht Menschen

JERUSALEM taz ■ Nur einen Tag vor Beginn der Anhörung zum Trennzaun vor dem International Gerichtshof in Den Haag liefert ein erneuter Bombenanschlag der Regierung in Jerusalem die Rechtfertigung für den Mauerbau. „Der Anschlag zeigt, wie wichtig der Bau des Sicherheitszauns ist“, sagte Außenminister Silvan Schalom. „Wir werden weiterbauen, um Menschenleben zu retten.“ Neun Todesopfer, darunter der Täter, forderte der Anschlag am Sonntagmorgen in einem Jerusalemer Linienbus. Über 60 Menschen wurden teils schwer verletzt.

In einem Bekennerschreiben der Fatah-nahen „Al-Aksa-Brigaden“ hieß es, dass ein 23-jähriger Familienvater aus Bethlehem in den Tod ging, um eine israelische Militäroperation im Gaza-Streifen zu rächen, bei der Mitte des Monats 15 Palästinenser gestorben waren. Ferner solle gegen die „Nazi-Mauer, die uns nicht aufhalten wird“, so das Schreiben, protestiert werden.

Die palästinensische Führung verurteilte den Anschlag. Saeb Erikat, Chefunterhändler bei früheren Friedensverhandlungen, appellierte an die USA, sich verstärkt für eine Wiederaufnahme des Dialogs einzusetzen. Ein Treffen zwischen Premierminister Ariel Scharon und seinem palästinensischen Amtskollegen Ahmed Kurei kam bislang auch deshalb nicht zustande, weil die Palästinenser zunächst den Baustopp der Trennanlagen forderten, was Israel ablehnt.

Israels Justizminister Tommi Lapid stellte einen Zusammenhang zwischen Attentat und dem Verfahren in Den Haag her: „Der Anschlag ist die Antwort auf die Anhörung“, sagte er und forderte, dass „nicht Israel, sondern der Terror vor Gericht“ gestellt werden müsse. Diese Analogie mochte Ministerpräsident Scharon nicht ziehen: „Die Araber brauchen keinen Grund, um Juden zu töten“, sagte er.

Finanzminister Benjamin Netanjahu verurteilte den Abriss von acht Kilometer Zaun und dessen Verlegung nach Westen. Die Anlagen verliefen bislang östlich des geteilten Dorfs Bakaa auf palästinensischem Gebiet. „Wir sehen aus wie ein Verbrecher, der danach trachtet, seine Vergehen klein zu machen“, sagte Netanjahu. Aus dem Verteidigungsministerium verlautete, die Verlegung sei bereits seit sechs Monaten geplant gewesen und „rein zufällig“ einen Tag vor Beginn der Gerichtsanhörung begonnen worden.

Parallel zu der Anhörung in Den Haag wandten sich bereits Anfang des Monats zwei israelische Menschenrechtsorganisationen an den Obersten Gerichtshof in Jerusalem, der nun darüber entscheiden soll, ob der Verlauf der Trennanlagen über palästinensisches Gebiet rechtens ist. Entlang den Trennanlagen sind für den Beginn des Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen geplant. In Den Haag selbst demonstrieren heute Israelis mit Fotos der bisher über 900 Opfer palästinensischer Selbstmordattentäter gegen den Terror. Vor dem Gerichtsgebäude wird das Wrack eines Busses aufgestellt, der bei einem der Anschläge zerstört wurde.

SUSANNE KNAUL

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