Avantgarde macht glücklich

Und das Kino schlägt sie doch: Das European Media Art Festival in Osnabrück geht die Grenzen visueller Künste ab – vom Ende der Fiktion bis zum fluoreszierenden Kaninchen

Gerade hat eine Umfrage ergeben, dass die mit ihrem Wohnort zufriedensten Deutschen in Osnabrück leben. Nun wird dies kaum ursächlich mit dem „Europäischen Media Art Festival“ zusammen hängen. Jedoch ist das international renommierte, aber alles andere als populäre Festival, das sich die Stadt seit 16 Jahren leistet, ein Symptom dafür, wie beständig und souverän hier Politik gemacht wird.

Avantgarde ist auf der EMAF noch kein Schimpfwort. Die meisten der gezeigten Filme, Videos und Vorträge sind für die „happy few“, die sich in experimenteller Medienkunst auskennen gedacht. Aber von denen kommen halt auch erstaunlich viele jedes Jahr nach „Osnabrueck“ – so die international kompatible Schreibweise auf den Plakaten.

Den Kern der „EMAF“ bildete das Film- und Videoprogramm im Kulturzentrum „Lagerhalle“. Dort wurden 114 Beiträge aus 18 Ländern gezeigt, darunter auch eine Retrospektive. Sie war dem kanadischen Experimentalfilmer Michael Snow gewidmet. Dessen „Wavelength“ aus dem Jahr 1967 gilt – mit seinem ununterbrochenen 45-minütigen Zoom – als der „Citizen Kane“ der Filmavantgarde.

Einer der Höhepunkte des Festivals war die deutsche Premiere von Pat O‘Neills Film „The Decay of Fiction („Der Niedergang der Fiktionen“): Schattenhafte Geister aus film noirs irren durch die leeren Räume des Ambassador-Hotels in Hollywood. Dabei scheinen sie nicht nur durch Zeit und Raum, sondern auch durch die Konventionen des Genres für ewig in einer Zwischenwelt gefangen. Tricktechnisch brillant und konsequent merkwürdig ist dies ein Film, wie ihn Wim Wenders nie hinbekäme und David Lynch sicher liebt.

Zuverlässige Augenöffner sind auch die angegliederten Kongresse: Unter dem Titel „Larger than life“ referierten diesmal Wissenschaftler und Künstler über Projekte, bei denen sie mit Klonen, und molekularbiologischem Gewebe arbeiten. Eduard Kac stellte hier sein berühmt/berüchtigtes fluoreszierendes Kaninchen vor, das durch Gene eines Tiefseefisches im Dunkeln grün leuchtet.

In Osnabrück zeigt sich auch, welche Strömungen gerade wieder aus der Mode kommen. So gehörten bis zum letzten Jahr die Videoinstallationen in der Dominikanerkirche zu den Höhepunkten. Diesmal aber wirkten die an den Wänden hängenden Bildschirme enttäuschend unspektakulär.

Sehr gut besucht dagegen das breite Angebot des „Artkino“, das so unterschiedliche Programme wie Hongkong-Actionproduktionen, europäische Experimentalkurzfilme oder David Cronenbergs prophetischen „Videodrome“ aus dem Jahr 1883 vorführte. Das gute alte Kino ist halt immer noch das eindrucksvollste der visuellen Medien.

Wilfried Hippen