SPD quält sich mit der Agenda 2010

Bremer SPD-Landesvorstand wollte sich vor der Bundesvorstandssitzung der SPD nicht festgelegen auf eine klare Position zur „Agende 2010“. Rot-Grüne Bauschschmerzen mit der neuen Sozialpolitik des Bundeskanzlers

SPD-Chef Detlef Albers: „Der 1. Juni darf kein Parteitag des Zorns werden“

taz ■ Der Bremer SPD-Vorsitzende Detlev Albers hat heute eine schwere Mission vor sich: er muss zum Parteivorstand nach Berlin. Soll das Arbeitslosengeld auf zwölf Monate begrenzt werden? Sollen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammengelegt werden? Sollen Zinserträge aus Kapitalvermögen mit 25 Prozent besteuert werden – und damit geringer als Einkommen aus eigener Arbeit? Das sind Essentials der „Agenda 2010“ des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden Gerhard Schröder, die einem Sozialdemokraten an die Nieren gehen können.

Das Papier mit den Details, über das heute beim Parteivorstand gepokert wird, wird als „Tischvorlage“ verteilt. „Eine ziemliche Zumutung“, findet Albers. Da Kanzler Schröder angekündigt hat, es gehe um seine Regierungsfähigkeit, ist die Gefechtslage kompliziert. Vor der Abfahrt nach Berlin wollte Albers sich öffentlich nicht festlegen auf eine Position, die er nach der Sitzung eventuell nicht mehr sinnvoll vertreten kann. Und so mahnte er in Richtung Gewerkschaften nur eine Versachlichung der Auseinandersetzung an, nachdem der niedersächsische Verdi-Bezirksleiter Wolfgang Denia ankündigte, ab 1. Mai Mitglieder zum Protest gegen die Regierungspläne zu mobilisieren. In Richtung Sonderparteitag am 1. Juni forderte Albers, es dürfe „kein Parteitag des Zorns“ werden.

Zurückhaltung übte auch der Bremer SPD-Landesvorstand. Bei seiner letzten Sitzung am Freitag legte er sich in Form eines klaren Bremer Positionspapiers zur „Agenda 2010“ nicht fest – um im Wahlkampf jeden Eindruck von Streit zu vermeiden.

Das innerparteiliche Rumoren hatte SPD-Generalsekretär Olaf Scholz erst am Donnerstag nach einem Gespräch mit dem Kanzler kommentiert: „Wir haben uns fünf Minuten darüber unterhalten, was der Unsinn nun wieder soll und sind ansonsten zur Tagesordnung übergegangen.“ Mario Dormann-Käse, in Bremen Bürgerschaftsabgeordneter der SPD, zählt zu den Erstunterzeichner dieses „Unsinns“ – einer SPD-internen Unterschriftensammlung gegen die Politik der Agenda 2010.

„Ich kenne Olaf Scholz natürlich noch von linken Treffen“, sagt Domann-Käse. Merkwürdig sei das schon, wie schnell sich einer in der Nähe der Macht wandele. Doch der Bremer Sozialdemokrat Käse steht zu der Unterschriftensammlung gegen die Agenda 2010: „So kann man nicht mit einer Partei umgehen.“ Wenn ein Parteitag einen Strategiewechsel beschließe, und nichts weniger bedeute die neue Sozialpolitik, dann müsse jedes Mitglied das zur Kenntnis nehmen. Aber von der Regierung könne das für die Partei nicht verkündet werden.

Wenn die Senkung des Arbeitslosengeldes den Druck auf Arbeitslose erhöhen solle, sei das „zynisch“ angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen, findet Domann-Käse. „Ein 55-jähriger Schiffbauer findet dadurch auch keine Arbeit.“ Anstatt Arbeitsplätze zu schaffen würden die Betroffenen zusätzlich bestraft und Altersarmut produziert. Auch die Idee, das Arbeitslosengeld für unter 55-Jährige auf zwölf Monate Bezugsdauer zu kürzen, treffe die Falschen. „Es gibt nicht genug offene Stellen.“

Frank Pietrzok, Sozialpolitiker der Bremer SPD, lehnt die „Agenda 2010“ nicht ab. Die bisherige Praxis der Plünderung der Arbeitsamts-Kassen für Vorruhestandsregelungen sei falsch gewesen, sagt er. Das „dänische Modell“, findet er, sei eine interessante Variante: Zwölf Monate bekommt ein Arbeitsloser dort 90 Prozent seines früheren Einkommens, dann ist Schluss. Das erhöhe den Druck auf Arbeitslose, einen neuen Job anzunehmen. Klar sei das „ein zweischneidiges Schwert“, sagt Pietrzok, aber was solle man tun, wenn „die Ressourcen auf Dauer nicht reichen?“ Das Arbeitslosengeld auf Sozialhilfe-Niveau zu senken, sei jedoch „sehr hart“. „Ich fände es besser, wenn die Arbeitslosenhilfe höher bleiben würde als die Sozialhilfe“, sagt Pietrzok.

Karoline Linnert, Sozialpolitikerin der Grünen, sieht in dieser organisatorischen Veränderung das größte Problem der „Agenda 2010“, die von den Grünen in Berlin als gemeinsames rot-grünes Regierungspaket reklamiert wird. Linnert war dagegen, hat aber parteiintern die Auseinandersetzung verloren. „Die Verschmelzung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe steht in allen Regierungsprogrammen“, sagt sie. Aber: Bei der Sozialhilfe wird das Partnereinkommen angerechnet, Sparverträge und Immobilienvermögen müssen aufgebraucht werden, bevor der Anspruch auf Sozialhilfe voll greift. „Es wäre eine große Katastrophe, wenn das allen Arbeitslosen nach zwölf oder 18 Monaten drohen würde“, sagt Linnert. Umgekehrt wäre es unsinnig, für Sozialhilfe-Empfänger eine pauschale Summe wie beim derzeitigen Arbeitslosengeld einzuführen. „Bei der Sozialhilfe gibt es gesonderte Hilfe-Ansprüche bei Alkohol- oder Drogenproblemen“, es gebe Hilfen für Behinderte, Wohnungshilfe. Wenn man aus der Sozialhilfe eine Pauschale vergleichbar der Arbeitslosenhilfe machen würde, würden diese sozialen Hilfe-Ansprüche in Notlagen am Ende doch auf der Strecke bleiben. Der aktuelle Trend in der Sozialpolitik sei bedrohlich, so Linnert. „Wenn die SPD die armen Menschen drangsaliert und ihre sozialen Bindungskräfte verliert, kommt irgendwann ein rechter Rattenfänger.“ kawe