Geschlossene Gesellschaften

Vor fünf Jahren öffnete Deutschlands erstes Asiacenter die Pforten. Vor allem Vietnamesen bieten dort ihre Waren an

Wer sich nicht mit der Botschaft gut stellt, hat schlechte Karten im Importgeschäft

Ein Jubiläum in der Rhinstraße im Berliner Bezirk Marzahn: Deutschlands ältestes Asiacenter feierte Anfang März seinen fünften Geburtstag. Wer hier einen Laden hat, verkauft Textilien, billige Spielsachen, kitschige Geschenkartikel und asiatische Lebensmittel an die vielen Vietnamesen aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die einen Wochenmarktstand oder Laden betreiben.

Fast alle der 50 Großhändler sind Vietnamesen. Fünf Pakistaner, zwei Inder, zwei Türken und ein Chinese bieten hier ebenfalls Billigwaren an, die sie aus ihren Herkunftsländern beziehen.

Hier floriert das vietnamesische Leben. Wenn die Wochenmarkthändler fürs Geschäft einkaufen, nehmen sie vietnamesische Zeitungen und Videokassetten mit, kaufen Lebensmittel für den Eigenbedarf oder besuchen die Karaoke-Bar. Um den Handel herum haben sich Dienstleistungsunternehmen für Vietnamesen angesiedelt: Dolmetscher- und Steuerberatungsbüros, Reisebüros, Versicherungen, ein Friseur und ein PC-Service.

Zwischen Kunden, Verkäufern und den meist vietnamesischen Centermanagern bestehen Verträge, die sich von den gesetzlichen Gepflogenheiten unterscheiden. Es gilt das gesprochene und nicht das geschriebene Wort, das Ehrenwort. Auch Ratenkauf und Umtauschrechte werden anders vereinbart als in „normalen“ Großmärkten.

Asiacenter sind geschlossene Gesellschaften. Selbst der Verband Vietnamesischer Unternehmer in Deutschland und sein Generalsekretär Nguyen Sy Phuong, Manager eines Centers in Leipzig-Redefeld, arbeiten so im Verborgenen, dass man sie weder bei der Industrie- und Handelskammer noch bei der Deutsch-Vietnamesischen Gesellschaft kennt.

Dennoch sind Asiacenter ein blühender Wirtschaftzweig. Mieter sind ehemalige Vertragsarbeiter. Attraktiv ist für viele ältere ehemalige Vertragsarbeiter, dass man hier weitgehend unter sich ist. Die Nachbarn sind auch Vietnamesen und tolerieren es, dass leere Kartons längere Zeit auf dem Gang herumliegen. Hätte man in einem Einkaufszentrum deutsche Nachbarn und Kunden, wäre das nicht nur aus Brandschutzgründen ein regelmäßiger Streitpunkt. Der ätzende Geruch von Fischsoße stört hier niemanden. Meinungsverschiedenheiten bleiben natürlich nicht aus bei so vielen Händlern unter einem Dach. Die löst man allzu oft mit Gewalt.

Im vergangenen Sommer wurden drei Vietnamesen vor dem Berliner Landgericht zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Jahren verurteilt, weil sie von einem Imbissbetreiber in einem Asiacenter in Berlin-Hohenschönhausen Schutzgelder erpresst hatten. „Das ist die einzige Schutzgelderpressung in einem Asiamarkt in Berlin, die zur Anzeige kam“, sagt Eva-Maria Holzer vom Berliner Landeskriminalamt. „Wir vermuten, dass nicht jeder Fall der Polizei bekannt wurde.“

Pikanterweise hatte sich das Opfer nicht an die Polizei, sondern an die vietnamesische Botschaft gewandt, um Strafanzeige zu erstatten. Es gibt wohl kein deutlicheres Indiz dafür, dass die Vietnamesen ihre Asiamärkte als vietnamesisches Hoheitsgebiet mitten in Deutschland sehen. Erst der vietnamesische Beamte hatte das Landeskriminalamt verständigt.

Das Asiacenter in der Rhinstraße könnte ein Vorzeigezentrum sein, wenn die Vietnamesen die Öffentlichkeit nicht so scheuen würden. So achten Centermanager Le Can und die Vermieterfirma Dibag peinlich genau darauf, dass sich neue Mieter beim Gewerbeamt anmelden. Sie lassen sich Untermietverträge zur Genehmigung vorlegen.

Was selbstverständlich klingt, ist es keinesfalls. Das Landesarbeitsamt Berlin und das Bezirksamt Lichtenberg führten im Dong-Xuan-Center in der Siegfriedstraße vergangenen November eine gewerberechtliche Prüfung durch, weil den Behörden nur vier Gewerbeanmeldungen und kaum Arbeitsverträge für die riesige Halle vorlagen. Bilanz: 41 Verstöße gegen das Gewerbe- und Arbeitsrecht.

Während man es in den Asiacentern mit dem deutschen Recht nicht so genau nimmt, wird das vietnamesische streng eingehalten. In den Zeitungsregalen liegen nur lizenzierte vietnamesische Publikationen aus. Exilblätter haben hier keine Chance, verkauft zu werden. Grund dafür seien regelmäßige Rundgänge der vietnamesischen Botschaft, weiß Vu Quoc Dung von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Wer sich nicht mit der Botschaft gut stellt, hat schlechte Karten im Importgeschäft. Anders als vietnamesische kümmern sich deutsche Behörden – die Polizei ausgenommen – kaum um die Asiacenter, die in den großen ostdeutschen Städten auch soziale Brennpunkte sind. „Es gibt viele Händler, die kein offizielles Gewerbe angemeldet haben und dadurch den Schutzgelderpressern ausgeliefert sind“, klagt die Berliner SPD-Politikerin Thuy Nonnemann, die aus Vietnam stammt. Sie fordert die Behörden auf, mit den Händlern Gesprächsformen zu institutionalisieren. „Das ist die einzige Chance, dass sie die Behörden respektieren und nicht die Schutzgelderpresser.“

Revierkämpfe werden mit Gewalt ausgetragen. In den Jahren 1999 und 2000 kam es in Dresden und Leipzig zu insgesamt vier Bränden in Asiacentern. Das größte Center in der Leipziger Maximilianallee wurde vollständig zerstört. Die Ermittlungsbehörden gehen von Brandstiftung aus und vermuten die Urheber in den Kreisen der organisierten Kriminalität. MARINA MAI