Ein Gast, wie er sein soll

Gerhard Schröder erfüllt in Ankara die Erwartungen: „Die Türkei kann sich auf Deutschland verlassen“, wenn es um Beitrittsgespräche mit der EU geht

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Gelacht wurde erst gegen Ende der Veranstaltung. Das war, als jemand den türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan nach dem Auftritt der deutschen Oppositionsführerin Merkel vor einer Woche an gleicher Stelle fragte. Er sei überzeugt, meinte Erdogan mit Blick auf Schröder, dass diese kluge Frau sich früher oder später der Meinung des Bundeskanzlers anschließen werde. Bis dahin hatte Schröder betont ernsthaft und mit staatsmännischem Gesicht verkündet, was jeder von ihm erwartet und zumindest die türkische Seite erhofft hatte. „Die Türkei“, so der Kanzler, könne sich in den kommenden Monaten und am Ende des Jahres, wenn die EU über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entscheidet, „auf Deutschland verlassen“. Vorausgesetzt, die EU-Kommission empfiehlt in ihrem Fortschrittsbericht im Oktober die Aufnahme von Verhandlungen, werde die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass Beitrittsgespräche „unverzüglich beginnen“.

Schröder ließ wenig Zweifel daran, dass er im Herbst mit einem positi- ven Votum der Kommission rechnet. „Die Regierung Erdogan hat enorme Fortschritte auf dem Weg zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien gemacht“, bescheinigte Schröder seinem Kollegen, und er gehe auch davon aus, dass dieser neue Geist „Einzug bei Justiz und Verwaltung halten wird“. Damit ging Schröder darauf ein, dass etliche der Reformgesetze mit der Umsetzung in der Wirklichkeit noch zu wünschen übrig lassen, eine Frage, die Erdogan dann auch gleich aufgriff. Die Implementierung der Gesetze sei natürlich Aufgabe seiner Regierung und man werde alles tun, um die noch bestehenden Hindernisse abzubauen. Konkret sagte er, Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache stünde nichts mehr im Wege und auch Sprachkurse in Kurdisch hätten nun begonnen oder der Beginn stünde unmittelbar davor.

Bei der fast schon routiniert ablaufenden Pressekonferenz – Erdogan und Schröder haben sich bereits einige Male getroffen – ging fast unter, welche Bedeutung der Auftritt des Bundeskanzlers in der Türkei eigentlich hat. Zuletzt 1993 hatte ein deutscher Kanzler das Land besucht und damals war von möglichen Beitrittsgesprächen mit der Türkei keine Rede. Und obwohl Schröder und Fischer nach ihrem Regierungsantritt dafür eintraten, die EU-Blockade gegen die Türkei zu lockern, und mit dafür sorgten, dass das Land auf dem Gipfel 1999 den Kandidatenstatus zuerkannt bekam, blieb auch Schröder zunächst noch sehr zurückhaltend.

„Das änderte sich erst wirklich, nachdem die deutsche Außenpolitik ihre Konsequenzen aus den Anschlägen am 11. September in den USA gezogen hatte“, meinte gestern der außenpolitische Berater Erdogans, Cüneyt Zapsu, gegenüber der taz. „Erst danach hat Deutschland erkannt, wie wichtig die Aufnahme eines mehrheitlich muslimischen Landes in die EU für die Sicherheit Europas ist.“ So betonte Schröder auch gestern noch einmal, man könne Stabilität und Wohlstand in der Türkei, als Ergebnis der Annäherung an die EU, für die Sicherheit auch Deutschlands „gar nicht hoch genug einschätzen“. Als weitere Gründe für seine Unterstützung der Türkei nannte Schröder die Integration der türkischen Minderheit in Deutschland und das große Potenzial der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Über Meldungen aus Deutschland, es gebe Pläne zur Gründung einer liberalen muslimischen Organisation, um den Einfluss der Radikalen zurückzudrängen, meinte Zapsu: „Wir haben unsere Landsleute immer aufgefordert, sich zu integrieren, sich am politischen Prozess zu beteiligen und die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Aber wir als Regierungspartei werden uns nicht in die Vereinsarbeit in Deutschland einmischen. Die Veränderungen dort geschehen auch ohne uns.“

Zapsu ging auch auf die Ängste ein, die zuletzt noch CDU-Chefin Merkel in Ankara thematisiert hatte. „Wenn wir mit Unterstützung Deutschlands und der EU unser Land reformieren und modernisieren, wenn dann das Pro-Kopf-Einkommen von jetzt durchschnittlich 3.000 auf 12.000 Dollar im Jahr gestiegen sein wird, wird kein Türke mehr nach Westeuropa auswandern wollen. Schon jetzt kommen doch die ersten wieder zurück, weil sie hier besser einen Job finden als in Deutschland.“ Stolz verweist Zapsu auf den beginnenden Wirtschaftsaufschwung und die Perspektiven für die kommenden Jahre. „Wenn die EU der Türkei Ende des Jahres eine Beitrittsperspektive anbietet, werden wir endlich die Auslandsinvestitionen bekommen, die für den Ausbau der Wirtschaft notwendig sind. Das ist unsere Hoffnung, nicht das Geld, was die EU überweist. Wir wissen, dass die Kassen leer sind.“

Schröder hat diese Erwartung verstanden. In seiner Delegation sind die wichtigsten deutschen Wirtschaftsvertreter versammelt, gestern Abend traf er sich mit türkischen Wirtschaftsvertretern und heute wird Schröder ein Kraftwerk einweihen, das die Steag in der Türkei gebaut hat.