Niederrhein hat schulfrei

Eltern und Schülern protestieren gegen Unterrichtsausfall an Grundschulen. Laut Ministerium sei das alles normal

RUHR taz ■ „Englischunterricht-was ist das?“, prangerte Anfang der Woche NRW-Schulministerin Ute Schäfer (SPD) bei einem Besuch der Domstadt Xanten entgegen. 200 Schüler, Lehrer und Eltern von vier niederrheinischen Grundschulen demonstrierten vor dem Thomas-Haus am Dom – der Grund: massiver Unterrichtsausfall durch Krankheit. Zeitweise seien fünf Lehrer ausgefallen, klagt Karsten Awarter, Schulpflegschaftsvorsitzender in Lüttingen: “Da geht reihum eine Klasse nach Hause.“ In Menzelen-Ost übernähmen Eltern die Betreuung und zwei Lehrer eine Klasse: „Teilweise hat die erste Klasse drei Lehrer in einem Jahr gehabt – ein unerträglicher Zustand“, sagt Christian Chwallek, Schulpflegschaftsvorsitzender der Grundschule in Menzelen-Ost. Die Bezirksregierung Düsseldorf und das Ministerium seien seit dem Winter 2003 informiert – ohne eine Reaktion.

Die Bezirksregierung Düsseldorf räumt ein, dass es durch Krankheit und Vertretungsfälle zu einer „etwas unglücklichen Aneinanderreihung von Problemen“ gekommen sei, sagt Pressesprecher Hans-Peter Schröder. Von der grundsätzlichen Besetzung her liege der Kreis Wesel aber im Schnitt, sagt auch die leitende Regierungsdirektorin Elisabeth Senger-Feind. Die Vertretungen würden schließlich nach der Größe der Schulämter eingeteilt.

Es gebe keinen grundlegenden Mangel, meint auch das NRW-Schulministerium: „Im Grundschulbereich sind wir zu fast 100 Prozent ausgestattet, nur in der Sekundarstufe II fehlen Fachlehrer auf dem Markt“, sagt Sprecherin Stefanie Paeleke. Das Programm „Geld-statt-Stellen“ sei nicht gekürzt worden und stehe mit 110 Millionen Euro im Haushalt 2004/2005. Ins gleiche Horn stößt Sylvia Löhrmann, schulpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag: „Unterrichtsausfall bleibt immer, aber durch die zusätzliche Pflichtstunde für Lehrer haben wir eine Entspannung“. Die Verwaltungsabläufe über die Bezirksregierungen seien aber zu lang – die Gelder müssten budgetiert an die Regionen und Schulen gehen.

Die zusätzliche Unterrichtsstunde für Lehrer bringe 110 Millionen Euro, sagt der CDU-Schulexperte Burkhard Reder: „Faktisch aber gibt es 2004 27 Millionen Euro weniger – ein Umfang von 540 Lehrerstellen.“ Die Forderung nach einer Stellenreserve habe man abgelehnt. 3,9 Prozent Unterrichtsausfall an Grundschulen in NRW bedeuteten 34.712 Unterrichtsstunden und umgerechnet 1.239 Lehrerstellen. Die Pflichtstundenerhöhung im Grundschulkapitel für das Jahr 2004 habe 1.485 weniger Lehrer zur Folge. Bezirksregierung Düsseldorf und das NRW-Schulministerium haben jetzt zum 1. März 2004 kurzfristig vier neue Lehrerstellen zugesagt – aus den Mitteln des „Geld-statt-Stellen“-Programms der NRW-Landesregierung. Zum Schuljahresbeginn 2004/05 soll es weitere feste Stellen geben. Christian Chwallek bleibt aber skeptisch: „Wir werden weiter kritisch beobachten, was konkret geschieht.“ Schon ein Krankheitsfall könne die kritische Situation wieder aufleben lassen.

ALEXANDER FLORIÉ