„Ist die Mahnwache noch da?“

Von streikenden Studenten hat Hans-Gerhard Husung (SPD) noch nicht viel mitbekommen. Husung übernimmt ab 1. Märzden Posten des Staatssekretärs in der Wissenschaftsverwaltung. Bei der Reform der Hochschulen setzt er auf Kommunikation

INTERVIEW STEFAN ALBERTI

taz: Herr Husung, haben Sie eben auf dem Weg ins Rote Rathaus ein buntes Zelt gesehen?

Hans-Gerhard Husung: Ich habe daran gedacht, nachzuschauen – ich kenne diese Mahnwache ja aus dem Fernsehen. Aber ich war in Zeitdruck und hab nur die ganzen Marktstände gesehen. Ich hab mich gefragt: Ist die überhaupt noch da?

Gerade war sie es noch. Die Mahnwache ist Überbleibsel monatelanger Studentenstreiks. Ihr Timing ist perfekt: Sie kommen, wenn der Protest erschlafft ist.

Das ist rein zufällig.

Wie wohl ist Ihnen bei dem Gedanken, Kürzungen umzusetzen, gegen die Zehntausende auf die Straße gegangen sind?

Auf der einen Seite haben die Studierenden deutlich gemacht, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Dass wir uns dringend der inneren Ausgestaltung der Hochschulen widmen und dort auch sehen müssen, wie wir mit knappem Geld optimale Studienbedingungen herstellen …

die Quadratur des Kreises.

Auf der anderen Seite bin ich Realist genug zu sehen, dass die finanzpolitische Situation in Berlin außerordentlich angespannt ist. Auch wenn es jetzt den einen oder anderen nicht voll überzeugt: Ich kann zumindest mit gewissem Wohlgefühl für die Zukunft sagen, dass Senator Flierl sich ja in den Haushaltsverhandlungen hat durchsetzen können, sodass Wissenschaft und Forschung immer noch eine relative Priorität in Berlin genießen. Mein Ziel ist, dass es dabei bleibt.

Ihr Vorgänger Pasternack nannte diese Sichtweise bei seinem Abgang „Selbstbetrug“.

Ich möchte unter den gegebenen Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung das Beste rausholen. Dass es eine Vision geben muss, ist ebenso klar wie, dass man dafür Ressourcen mobilisieren muss. Von daher bin ich eher vernunftgeleitet und pragmatisch.

75 Millionen einzusparen, dabei Fächervielfalt zu wahren, die Hochschulmedizin zu fusionieren – auch ohne aktuelle Proteste haben Sie einen der schwierigsten Jobs in der Berliner Politik übernommen. Warum tun Sie sich das an?

Weil ich das, was Berlin an Wissenschaft und Forschung hat, als Reichtum betrachte. Es ist mir immer ein Graus, wenn ich in den Haushaltsvorlagen von „konsumptiven Ausgaben“ lese, also von Verbrauch. Ich möchte die Menschen in der Stadt, aber auch die Politik davon überzeugen, dass Gelder für Wissenschaft Investitionen sind, dass Berlin diesen Reichtum pflegen und hegen muss. Ich würde auch gerne mit den Wissenschaftseinrichtungen diskutieren, wie wir noch stärker für Berlin arbeiten können – damit wir Wissen nicht nur produzieren, sondern auch in Arbeitsplätze und Wohlstand vorrangig in Berlin umsetzen.

Einige Stimmen sagen: Der Husung hat in Hamburg Reformen versucht, sich aber letztlich als Hochschulpräsident nicht durchsetzen können. Warum soll das hier anders sein?

Hier in Berlin muss es mein oberstes Anliegen sein, eine intensive Kommunikation in Gang zu setzen und als Partner wahrgenommen zu werden. Dass ich persönliche Vorstellungen habe, ist ebenso unstrittig wie, dass andere auch gute Ideen haben. Insofern können Sie das als gewissen Lernprozess bei mir werten.

SPD-Staatssekretär bei einem PDS-Senator, der bei der Hochschulpolitik seine Partei noch längst nicht klar hinter sich hat. Wie soll das gehen?

Erstens: Der Staatssekretär ist ein politischer Beamter. Zweitens: Herr Flierl hat mich ja nicht gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen, weil ich SPD-Mitglied bin, sondern weil ich – obwohl ich dem Urteil anderer nicht vorgreifen will – von der Sache etwas verstehe. Insofern sehe ich diese Inkompatibilität, die Sie andeuten, überhaupt nicht …

lassen Sie es uns eine Gemengelage nennen.

Ich habe bei vielen Gesprächen das Gefühl gewonnen, dass ich mit Herrn Flierl ausgesprochen loyal zusammenarbeiten kann. Das ist die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Ich sehe da keine Probleme.

Ihr Senator propagiert Studienkonten, in denen Kritiker Türöffner für generelle Studiengebühren sehen. Ein Freund solcher Gebühren ist der Regierende Bürgermeister. Können Sie klar sagen, dass es die mit Ihnen nicht geben wird?

Der Koalitionsvertrag gilt bis 2006, und der spricht klar von Studiengebührenfreiheit. Diejenigen, die heute sagen, dass Studienkonten die Einführung von Studiengebühren sind, scheinen genauer als ich zu überschauen, was die Zukunft bringt. Ich sehe das nicht so.

Sie haben in den 80ern einige Jahre in London geforscht. Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung in Großbritannien, wo Labour die Studiengebühren jüngst verdreifacht hat?

Ich sehe diese Entwicklung außerordentlich kritisch. Mit den Blair’schen Studiengebühren erzielen Sie Wirkungen, die ich für das deutsche System nicht haben möchte. Es gibt zwar etwa gleich bleibende Studierendenzahlen, sodass immer argumentiert wird, die Gebühren würden gar nicht für den großen Einbruch sorgen. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass untere Schichten viel weniger vertreten sind als früher.

Was bringen Sie denn an konkreten Vorschlägen aus Hamburg, wo die Dohnanyi-Kommission zur Hochschulreform arbeitete, mit nach Berlin?

Die Kommission war ja ein hochinteressantes Experiment. Allerdings sollte sich strukturelle Planung für die Metropole Berlin nicht wie bei Dohnanyi nur auf Arbeitsmarktbedürfnisse vorhandener Firmen konzentrieren. Sicher ist die Frage „Was braucht die Wirtschaft?“ eine ganz wichtige. Aber für mich gehören mindestens drei weitere Fragen hinzu: Woran sind die Studierenden interessiert? Was braucht die Gesellschaft? Was braucht die Wissenschaft? Diese Ziele muss ich gleichzeitig verfolgen, im besten Fall gleichwertig. Sich auf eins zu konzentrieren wäre mit enormen Kosten für die anderen verbunden.