Nichts zu beichten

Mit der „Holy Virgin Cult“ krempelt Jean Baptiste Costes in der Schilleroper das Weltbild immer neu um

Jean Baptiste Costes, der Mann mit original drei Eiern, ist wieder auf Europatournée. Der Künstler inszeniert Shows in der Reihe „Opera Porno Social“, in denen er immer wieder die Weltordnung umkrempelt. Als gut geratenes Kind der Studentenrevolte und der „Sexuellen Revolution“ kennt er weder Tabus, Autoritäten noch Selbstzensur. In seinen Shows tanzen erigierte Schwänze mit Tampons Walzer, Pappmachéerevolver schleimen sich in die Arschlöcher von Kruzifixen, Schokoladensauce scheißt auf die angeblich politisch korrekte Pseudowelt des Posthippietums, und Elementarteilchen begrüßen ihren Autor und Costes‘ LandsmannMichel.

Solche Frechheiten müssen bestraft werden. In seiner Heimat erhielt Costes wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses Auftrittsverbot. Weil seine Kunst so hysterisch ist wie die aufsässige Kindheit, so wild wie die Pubertät, so rebellisch wie die eingesperrte Freiheit, so tobend wie die pulsierende Aggression. Der Katholik mag das. Er genießt seine prekäre Situation. Sonst gäbe es nichts zu beichten. Die Widerstandskräfte sammelten sich in ihm nicht automatisch. Seine weißen Blutkörperchen attackierten nicht die durch den Kontakt mit der Gesellschaft entzündeten Stellen.

Doch die Schikanen der französischen Behörden machen Costes nur noch heißer. Da kriegt er trotz der Überproduktion von Adrenalin sogar auf der Bühne einen hoch. Sein Schwanz wird steif wie Ebenholz aus Afrika, um alsbald die Härte von marokkanischem oder gar Damaszener Stahl anzunehmen. Dem Künstler hängt dabei eine Bleu-Blanc-Rouge-Zunge aus dem Maul. Im Klassenkampf der Prinzipien ist er sich selbst der größte Befürworter und Gegner.

Die Shows von Costes, Paraden der Widersprüche, scheinen außerdem eine Rarität niveaulosester Kindergeburtstagsparties für Erwachsene überhaupt zu sein. Seine neueste heißt Le Culte de la Vierge und ist ein berauschender Orgien- und Ritualtrip. Seine Heilige Dreifaltigkeit agiert darin wie immer höchst selbst. Jung und schön, stellt er gerne Wahn und Potenz des Menschen zur Schau.

Der zur Zeit größte Aktionskünstler im guten alten Europa ist einer der letzten revolutionären Franzosen. So eine Figur findet man heutzutage nicht an jeder Ecke. Doch die Menschheit hat jederzeit Opfer für ihre Sünden zu bringen. Sonst wird ihr der Allmächtige nicht verzeihen. Um uns daran zu erinnern, schickt er uns seine Missionare, Messiase, Märtyrer und Costes.

Mariola Brillowska

heute, 21 Uhr, Schilleroper