PETER AHRENS über PROVINZ
: Wandsbek stellt die Kanzlerfrage

Eine böse Fee hat Hamburg in eine riesige Christiansen-Show verwandelt. Sogar Stoiber war da – nur ohne Truthahn

Hamburg muss im Moment offenbar wieder bannig interessant sein. Auf Schritt und Tritt stolpert man dieser Tage über Reporter, die aus Berlin oder gar Zürich hierher gekommen sind, mit flackerndem Blicke die Worte Schill, schwul und Bambi raunen, pflichtschuldigst einen Eimer Häme über den unglücklichen SPD-Spitzenkandidaten ausschütten, der auf dem Wahlplakat auf einem Bobbycar sitzt, bevor sie wieder in ihre Metropolen entschwinden, um der geneigten Leserschaft in seitenlangen Elogen die Hamburger Verhältnisse zu erklären.

Nur sehr manchmal werfen sie dabei die dutzenden von Schill-Parteien durcheinander, die derzeit mit ihren verwirrenden Namenstiteln durch die schöne Hansestadt irrlichtern. Ist Schill jetzt gegen den Euro, der kreuzbrave Spießbürger Mettbach kontrolliert offensiv, oder was? Nie war die Wahl so schwer wie heute.

Und all die politische Prominenz, die diese Stadt nun heimsucht! Klaus Wowereit sumpft sich nächtelang für die Mutterpartei durchs Schwulenviertel St. Georg, die Kamera des Lokalsenders immer hinterher, im Schlepptau gleichgeschlechtlich liebende Parteifreunde, der Kir fließt, der Prosecco gleich mit, neben mir sagt einer: „Diesen schwulen Bürgermeister hätten wir gerne.“ Haben wir aber nicht. Hat uns Berlin wieder mal weggeschnappt, im niemals ruhenden Standortduell.

Angela Merkel war auch da, gleich zweimal. Sie hat ihr Buch signiert im Wandsbeker Einkaufszentrum Quarree, hat sich nett mit dem ganz normalen Volk unterhalten – sie ist ja auch in Hamburg geboren, da steckt das zutiefst Hanseatische eben in den Genen. Zum Dank schreibt die Qualitätspresse, womit jetzt mal nicht die Springer-Zeitungen gemeint sind, sie habe bei ihrem Besuch so ausgesehen wie ein Komodowaran. Das ist doch mindestens menschenverachtend, vielleicht sogar unfair, kein Wunder, dass es diese Politikerverdrossenheit gibt, ich wäre doch auch verdrossen, wenn mich jemand als knautschige Echse bezeichnen würde.

Es war, als habe eine böse Fee Hamburg in eine einzige große Sabine-Christiansen-Sendung verwandelt: der Merz, die Simonis, der Meyerlaurenz, ja, auch der Bundeskanzler, auch wenn er ganz heiser war und seinen Stimmbändern alles abverlangt hat: dass die Sozis es immer mit Patriotismus ganz groß hatten und stets das angerichtet haben, was die Konservativen zuvor sich nicht getraut haben. Und die Genossen, die haben sich fast die Arme ausgerenkt, so haben sie die Schilder mit dem schwachköpfigen Spruch „Wir schaffen das“ in die Höhe gehalten. Der Stoiber war auch da, wenn auch nur ganz kurz und nur auf dem Flughafen, wo er zwei Stunden für die Fotografen durch eine Lufthansa-Halle gelaufen ist. Dann ist er zurück ins Flugzeug wie George W. dereinst im Irak, nur ohne Truthahn. Nicht einmal mit Radi.

Müntefering war gleich dreimal zugegen, der Mann muss noch Gesichtspflege betreiben, den kennt man ja als SPD-Vorsitzenden noch nicht so gut, also muss es die Kärrnertour sein, die ganz harte Basisnummer: Morgens beim Neujahrsempfang im Bezirk Mitte, nachmittags noch mal am anderen Ende der Stadt, interessanterweise auch im Einkaufszentrum Wandsbek, vielleicht wird dort ja die Wahl entschieden oder noch mehr. Wer dort die bessere Figur als Parteichef macht, der wird der nächste Bundeskanzler. Für uns Journalisten gab es Gebäck und Sahnetörtchen aus dem Café Andersen, und alle haben nachher gesagt, dafür hätte es sich immerhin gelohnt. Nach Wandsbek kommen die Hamburger Presseleute nämlich normalerweise nicht: Dort stechen sich ab und zu ein paar Betrunkene ab, und die SPD hat samstagmorgens in der Fußgängerzone einen Infostand. Die Wandsbeker Jusos haben letztens 15.000 Flugblätter an die Haushalte verteilt, „ein voller Erfolg“, aber sonst ist da eigentlich nicht viel los. Insofern wird Angela Merkel schon zum Ereignis.

Am nächsten Montag ist alles vorbei. Dann hat Berlin all diese Leute verdienterweise zurück, und Wandsbek gehört endlich wieder den Betrunkenen.

Fotohinweis: PETER AHRENS PROVINZ Fragen zu Wahlbesuch? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER