Ein Held ohne Konflikte

Die ARD erinnert mit Jo Baiers „Stauffenberg“ an die Verschwörung gegen Hitler. Der ungelenke Film will nichts falsch machen – und sagt ebendarum etwas über unser Verhältnis zum 20. Juli (20.15 Uhr)

VON STEFAN REINECKE

In der ersten Szene stürzen Stauffenberg und seine Freundin 1933 in die Oper. Es wird, was sonst, Wagner gespielt. In der Loge sitzt, wer sonst, der Führer. Stauffenberg schaut ergriffen drein, dann fragt er seine Freundin, ob sie ihn heiraten will. So viel Symbol erträgt kein Film.

„Stauffenberg“ hat ein paar solcher bizarren Unwuchten. Dabei bebildert er meist brav das Verbürgte, er folgt den Dokumenten und zeigt, was am 20. Juli geschah: das Attentat in Ostpreußen, danach die furchtbare Erkenntnis, dass Hitler lebt, am Ende die Hinrichtung. Doch in ein paar Szenen will der Film auf eine aufdringliche Art kinotauglich sein: etwa wenn am Ende Stauffenbergs Freund in Zeitlupe im Kugelhagel stirbt. „Stauffenberg“ will aufklären wie ein Fernsehspiel, aber auch mal krachend unterhalten, er will historisch genau sein, aber auch für Teenager anschaubar.

Kurzum: ein ordentlicher, dem Anlass angemessener, ARD-Film. Er lässt Stauffenberg, kurz vor seiner Verhaftung, noch mal kreuzbrav seinen Traum von einem freien Deutschland erläutern. Er lässt die Figuren erklären, dass der 20. Juli weniger ein Staatsstreich als eine verzweifelte moralische Geste war. Es ist ein Film, der nichts ungesagt lassen und bloß nichts falsch machen will.

So ist auch die Figur Stauffenberg geraten. Wir erfahren in einer knappen Skizze, dass er Anfang der Vierzigerjahre ein Rassist ist. Wir sehen in einer riskanten, höchst absturzgefährdeten, theaterhaften Szene, wie eine weinende, stotternde Jüdin den Helden mit den Schrecken des Holocaust konfrontiert. Wir sehen, wie der Held die Tat plant, ausführt und scheitert. Sebastian Koch verkörpert Stauffenberg mit präzisem Ernst – und doch bleibt die Figur schemenhaft: Er ist ein Held ohne Konflikt. Denn wie Stauffenberg vom Rassisten, der über polnischen und jüdischen Pöbel schimpft, zum Hitler-Attentäter wurde, überlässt Regisseur Jo Baier unserer Fantasie. Das „Warum“, das Motiv, das den Helden treibt, bleibt trotz aller wortreichen Erklärungen im Dunkel: ein schwarzes Loch, um das der Film einen respektvollen Bogen macht.

Einmal sehen wir Stauffenberg in einer erfundenen Szene mit seiner Familie. Nina, seine Frau, will ihn von dem Plan abbringen. Es menschelt. Aber auch dieser Dialog klingt eher nach Staatsbürgerkunde als nach Ehekrise. Das Halboffizielle liegt wie Mehltau über den Szenen.

Regisseur Baier hat versichert, dass beim Dreh im Bendlerblock nicht gelacht wurde. So sieht der Film auch aus. Wenn es hier komisch werden soll, dann reißt ein SS-Mann die Tür auf, herrscht den Helden an, man müsse unter vier Augen reden – worauf Stauffenberg erwidert: „Ich habe nur eins.“ So klingt es, wenn Ehrfurcht sich mit Komik arrangieren will.

So weit, so steif. Es gibt in „Stauffenberg“ auch große Momente – und zwar dann, wenn die Regie keine Idee haben muss, weil der historische Ablauf die Szenen vorschreibt. So trägt der schiere Ablauf des 20. Juli, vom Attentat bis zur Erschießung, den Film. Am Abend verdichtet sich die Szene: General Fromm (Axel Milberg) entwaffnet die Aufständischen. General Beck bittet, sich selbst erschießen zu dürfen, Fromm gewährt dies. Das ist nur eine knappe Szene – aber man sieht plötzlich, dass jene, die schießen, und jene, die sterben, zu der gleichen Welt gehören. Der Verräter Fromm und der Held Stauffenberg sind Teil des gleichen sozialen Kosmos, einer untergegangenen Welt, die durch einen Ehrenkodex zusammengehalten wird. Diese Welt erscheint uns heute so exotisch wie, sagen wir, das Milieu in Coppolas „Der Pate“.

Baier zeigt einen Helden, den er nicht erklären kann. So spiegelt die ungelenke Ängstlichkeit von „Stauffenberg“ vielleicht die Unsicherheit, mit der wir heute auf diese Figuren schauen. Wir haben etwas mit ihnen zu tun – und zwar nicht, weil sie als Gründungslegenden der Bundesrepublik dem kommunistischen Widerstand Konkurrenz machen sollten. Sie berühren uns wie alle, die gegen Hitler ihr Leben eingesetzt haben. Sie haben, mit ihrem Tod, etwas für uns getan. Wir sind ihnen etwas schuldig.

Doch gerade preußische Militärs wie Stauffenberg sind Figuren aus einer Welt, von der schwer zu sagen ist, ob sie abgründig oder lächerlich ist. Im Film fixiert Stauffenberg einmal streng seinen zehnjährigen Sohn. Dann reißt er ihn an sich und sagt: „Auch Männer dürfen sich mal umarmen.“

Vielleicht ist Jo Baiers „Stauffenberg“ deshalb ein so seltsamer Film geworden. So wortreich, so sprachlos.