Selbstbewusste grüne Konzepte für eine tolerante Metropole

Am Sonntag wählt Hamburg eine neue Bürgerschaft. Den nächsten Bürgermeister werden CDU oder SPD stellen, die möglichen Koalitionspartner sind FDP oder GAL. Heute im taz-Interview über Ökologie und Ökonomie, Rot-Grün und rechte Sündenfälle: GAL-Spitzenkandidatin Christa Goetsch

„Einen ständigen Kampf gegen die Ausländerbehörde darf es bei Rot-Grün nicht wieder geben“„Der Bürgermeister ist realitätsfern. Der weiß nicht, was seine Politik für Frauen und Familien anrichtet“

Interview: peter ahrens
und sven-michael veit

taz: Frau Goetsch, vermuten wir richtig, dass die GAL in Hamburg gerne wieder regieren möchte?

Christa Goetsch: Aber ja.

Dafür brauchen Sie einen Koalitionspartner. Gibt es eine Alternative zur SPD?

Von den politischen Inhalten her ist klar, dass für uns die SPD Priorität hat. Da ist die gemeinsame Schnittmenge am größten.

Die erste rot-grüne Koalition 1997 bis 2001 war aber keine Jubelveranstaltung. Warum wollen Sie eine Neuauflage wagen?

Die Koalitionsverhandlungen würden sicherlich hart werden. Aber wir Grüne sind stärker als damals. Wir haben unser Lehrgeld bezahlt und sehr viel dazugelernt, taktisch wie inhaltlich. Wir haben sehr gute und ausgereifte Konzepte für die wesentlichen Themen dieser Stadt: Schule und Bildung, Kita und Familie, Verkehr, Umwelt und soziale Stadtentwicklung. Wir können selbstbewusst sein.

Sie sprachen von der Schnittmenge: Welche Beispiele fallen Ihnen dazu ein?

Nehmen wir zwei aktuelle Themen. Beim Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser vertreten SPD und GAL – ebenso wie die Gewerkschaften – eine klare gemeinsame Position: Kein Mehrheitsverkauf der Kliniken, kein Ausverkauf des Hamburger Gesundheitswesens. Ähnliches gilt für den Verkauf der Hamburger Wasserwerke. Auch da sind wir gemeinsam der Ansicht, dass die Versorgung der Menschen mit dem Grundnahrungsmittel Wasser eine öffentliche Aufgabe bleiben muss.

Und welches sind die möglichen Konfliktpunkte in Koalitionsverhandlungen mit der SPD?

Wir stellen in der Verkehrspolitik ein Zurückrudern der SPD fest. Ihr Spitzenkandidat Thomas Mirow hat sich kürzlich gegen die Stadtbahn ausgesprochen. Ich finde, die SPD sollte da den Mut zu mehr Fortschrittlichkeit haben. Ein schwieriger Punkt wird auch der Bereich Standortpolitik und Umweltschutz sein: Airbus-Erweiterung, Hafenpolitik oder Elbvertiefung sind Beispiele dafür, dass in der SPD noch immer Ökologie als Gegensatz von Ökonomie verstanden wird. Modern und innovativ ist das nicht gerade.

Wie würde eine rot-grüne Abschiebepraxis aussehen?

Es ist klar, dass es ein so unwürdiges Hickhack wie in der ersten rot-grünen Koalition nicht noch einmal gehen wird. Einen ständigen Kampf gegen die Ausländerbehörde darf es nicht wieder geben, sondern klare politische Vorgaben. Wir werden darauf drängen, eine Härtefallkommission einzusetzen. Dort wird jeder Einzelfall eingehend geprüft, besonders die individuellen Umstände. Ein Auseinanderreißen von Familien machen wir nicht mit.

Werden Sie das von Schwarz-Schill abgeschaffte Amt der Ausländerbeauftragten wieder einführen?

Ich denke nicht. Die Erfahrungen auch aus anderen Bundesländern zeigen, dass eine andere Lösung sinnvoller ist. Wir wollen eine entsprechende Stabsstelle direkt in der Senatskanzlei ansiedeln. Dort laufen die Fäden zusammen, dort sind die Einflussmöglichkeiten erheblich größer, die Querschnittsaufgabe in alllen Bereichen wahrzunehmen.

Wenn die SPD das mitmachte, blieben immer noch die Knackpunkte Innen- und Justizpolitik.

Das geschlossene Heim für Jugendliche ist ein Sündenfall des Rechts-Senats, den wir entschieden ablehnen ...

SPD-Innensenator in spe, Michael Neumann, hat dies als nicht verhandelbar bezeichnet, ebenso wie den Brechmitteleinsatz gegen mutmaßliche Dealer.

Es gibt da durchaus unterschiedliche Positionen auch innerhalb der SPD, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch nicht bei den Brechmitteln. Wir Grüne meinen, dass mit der „gläsernen Toilette“, dem Ausscheiden etwaiger Drogen, die Beweissicherung erbracht werden kann. Im Übrigen setzt die SPD und auch Herr Neumann ähnlich wie wir auf den Vorrang von Prävention von Kriminalität und, speziell in der Justizpolitik, auf den Gedanken der Resozialisierung. Da ist vieles noch zu verhandeln, am Ende sind es immer Pakete, die als Ergebnis auf dem Tisch liegen.

Bei einer Bürgerschaft aus CDU, SPD, GAL und Schill ist eine Mehrheit nur in einer großen oder einer schwarz-grünen Koalition zu erreichen. Wie verhalten sich dann die Grünen?

Da warten wir sehr gespannt auf die tollen Angebote von Ole von Beust. Aber im Ernst: Rot-Grün ist unser Ziel, alles andere ist eine Gespensterdebatte ...

Das Gespenst könnte aber plötzlich auftauchen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir Grüne uns auf einen Stuhl setzen, den Schill angewärmt hat. Viele Inhalte, für die der in der Rechts-Koalition stand und steht, sind doch auch die der CDU: Politik gegen Kinder und Frauen, gegen Alte und sozial Schwache, einseitige Bevorzugung des Autos im Straßenverkehr und Repression ohne Ende in der Innen- und Justizpolitik – die Liste an Themen, bei denen GAL und CDU weit auseinander sind, ist lang. Die wenigen Übereinstimmungen liegen im Nano-Bereich. Politik aber wird über Inhalte vereinbart. Da sehe ich nichts, was trägt.

Der Bürgermeister schließt Schwarz-Grün nicht aus.

Ich halte den Bürgermeister für realitätsfern. Der weiß nicht mal ansatzweise, was seine Politik für Frauen und Familien in dieser Stadt anrichtet. Entweder interessiert es ihn nicht oder er ist tatsächlich ahnungslos.

Auf dem Parteitag im Januar skizzierten Sie in Ihrer Rede das Bild einer „grünen und toleranten“ Metropole, in der eine „lebendige Gay-Szene genauso wichtig ist wie die Handelskammer“. Das scheint uns weder für Ole von Beust noch für Thomas Mirow akzeptabel zu sein.

Befehlsempfänger der Handelskammer scheint zumindest Mirow nicht werden zu wollen. Immerhin beklagt er sich inzwischen deutlich über deren Militanz, so sagt er, nachdem sie die letzten zwei Jahre praktisch selbst im Rathaus gesessen hat. Darin liegt die Chance, gemeinsam wichtige Interessen gegen den übermächtigen Einfluss der Ökonomie zu verteidigen.

Ist auch eine Ampelkoalition mit SPD und FDP möglich?

Das ist eine Option, die ebenso unerfreulich wie unwahrscheinlich ist. Die FDP steht ja zu Recht sehr schlecht da. Und sollte sie mit Leihstimmen der CDU wider Erwarten doch über die Fünfprozenthürde kriechen, wird sie doch ihrem großen Bruder zur Macht verhelfen.

Was unternimmt ein Senat mit grüner Beteiligung als Erstes? Nennen wir es ihr Hundert-Tage-Sofortprogramm.

Wir schaffen 1.000 neue Krippenplätze, um das Angebot zu sichern und auszubauen. Wir stellen die Weichen für eine Solarsiedlung für mehr als 800 Familien und Gewerbe. Wir starten das kostenfreie Bildungsjahr „5Plus“ für alle Fünfjährigen, wir schaffen den Beschluss über ein citynahes Naturschutzgebiet in Kaltehofe und drum herum, und wir richten eine Härtefallkommission für Flüchtlinge ein.

Frau Goetsch, Sie sind die erste von einem GAL-Parteitag einstimmig gewählte Spitzenkandidatin in der grünen Geschichte: Mission oder Bürde?

Weder noch. Das ist ein Zeichen der großen Geschlossenheit bei der GAL. Wir sind uns – trotz mancher inhaltlichen Differenz – in einem völlig einig: Diese Regierung muss abgelöst werden. Der Wahlausgang wird knapp, und deshalb müssen wir alle an einem Strang ziehen.

Und noch eins: Wer keine Fortsetzung des Rechts-Senats will, muss die GAL wählen. Wir hoffen auch auf Unterstützung bei denen, die uns im linken Spektrum sehr kritisch gegenüberstehen. Sie müssen uns nicht lieben, aber diesmal müssen sie uns wählen, wenn sie den Rechts-Senat wieder loswerden wollen.