Erhaben und profan

Der Glaube an die Liebe, Gott und die Revolution, alles Schilddrüsenunterfunktion: Funny van Dannen hielt zwei Tage hintereinander am Berliner Ensemble Hof

Funny van Dannen tritt nicht oft auf in Berlin, und wenn, dann ist die Volksbühne, oder wie jetzt das Berliner Ensemble, zwei Tage hintereinander ausverkauft. Und doch trifft man zu diesen Anlässen auf keinen der professionellen Popkulturspezialisten wie etwa vor wenigen Tagen, als ein anderer großer Songwriter, Adam Green, im Hebbel-Theater auftrat. Dabei sind die beiden Sänger durchaus wesensverwandt: Ihre Lieder leben von fein gedrechselten Melodien, außergewöhnlichen textlichen Einfällen und der Liebe zum Song.

Aber Adam Green ist eine Neuentdeckung, einundzwanzig Jahre alt, englischsprachig und wird der coolen New Yorker Anti-Folk-Bewegung zugerechnet. Funny van Dannen ist zwanzig Jahre älter und vielleicht sogar auch ein Anti-Folker, aber sein Coolnessfaktor liegt woanders. Auf der Bühne hat van Dannen die ihm eigene bescheidene Verlegenheit kultiviert, sein Publikum lacht bei jeder vermeintlichen Unbeholfenheit, jedem Hüsteln des Sängers laut auf. Echte Jugendliche, jugendliche Dreißigjährige und richtig Erwachsene in Parka, Indientuch und Streetwear, ostentativ unbeeindruckt von der Theaterpracht unter all den Putten und Engeln – ein aufgekratzter, munterer Schulausflug.

Das ist ein Winken, ein Suchen, „Wir sitzen da oben!“ -Rufen, Gekicher und M&M-Tüten-Aufreißen! Und dann kommt der Mann mit der Holzgitarre im roten Hemd auf die Bühne und hebt zu singen an. „Schilddrüsenunterfunktion“, ist ein typisches Van-Dannen-Lied, eines, in dem das Erhabene und das Profane zusammengebracht werden: der Glaube an Liebe, Gott, die Revolution – alles nur Schilddrüsenunterfunktion. Da kommen wie bei einer Büttenrede hysterische Lacher nach jedem Reim.

Vom Glanz und Elend der Paarbeziehung wird in den Lieder erzählt, und obwohl am Ende der Stern der Liebe über allem steht, gibt es genug unschöne Szenen und recht prosaische Dialoge zwischen Mann und Frau. Bei „Bitte mach mir ein Kind“ muss sich auf „verneinen“ logischerweise „Blas mir lieber einen“ reimen. Aber Funny beherrscht die Kunst des Sexwitzes, ohne dabei, wie viele andere Kollegen, altherrerenhaft zotig zu werden. „Baut kleine geile Firmen auf“, rät der Sänger den Jugendlichen, er kombiniert lakonische Alltagsbetrachtungen mit süßen Schlagermelodien und unerwartet krassen Wendungen. Beseelte Dinge und Werbefiguren wie „das Nuttenauto“, das „Hochhaus mit wehendem Haar“ und der „Mann von der Allianz“ bevölkern seine Songs. Bei den traurigen, dunklen Liedern, der fatalistisch-existenzialistischen Ballade vom alten Hund Rod Weiler, wird es angenehm still im Saal. Aber nicht lange. Die jugendlichen Globalisierungsgegner kennen alles auswendig, singen leise und ergriffen jüngere Textzeilen wie „menschenverachtende Untergrundmusik“ und den alten, arg ungebrochen schlagerhaften Song von den „Korkenzieherlocken“ mit.

Es scheint da mehrere neue Generationen von Fans zu geben, die von CD zu CD nachgewachsen sind. Da trauern die Fans der ersten Stunde ein wenig den Zeiten der kleinen Konzerte in Galerien und Partyzimmern nach, als Funny noch ihnen allein zu gehören schien und mit seinem „Als Willy Brandt Bundeskanzler war“ Kindheit und Zeitgeschichte für sie im Lied konservierte. Erst ganz am Schluss, nach fast zwei Stunden, kommen dann bei „Freundinnen müsste man sein“ und „Naturfilme“ die großen Gefühle auf.

Dann ist das Konzert zu Ende, draußen trollen sich alle schnell ihres Wegs, ein ganz feiner Nadelstichschnee fällt ins Gesicht. Im Autoradio, bei Kuttner, singt Funny noch weiter: „Im Regen stehen die Bauarbeiter, warum machen sie nicht weiter …“

CHRISTIANE RÖSINGER