Architektur und Bauen

Roland Rainer, der Architekt der Bremer Stadthalle, feiert am 1. Mai seinen 93. Geburtstag. Ein Blick auf sein Lebenswerk

Die siebziger Jahre sind das Jahrzehnt, in welchem publizistisch vielstimmig das Ende der architektonischen Moderne proklamiert wurde. Auch in Bremen. Exemplarisch dafür: die 1977 herausgebrachte Fotodokumentation „Wird Bremen immer hässlicher?“ von Klaus Warwas. So couragiert und im Kern berechtigt dieses Buch in Anbetracht innerstädtischer Trassenprojekte und peripherer Großwohnanlagen war, deren negative Auswirkungen noch heute nicht beseitigt sind. Es hat doch in seiner Pauschalkritik allzu leichtfertig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Natürlich fielen sämtliche Meisterwerke bremischer Nachkriegsmoderne unter Warwas‘ Verdikt: das Haus der Bürgerschaft, Aaltos Hochhaus in der Vahr und die Stadthalle. Letzterer wurde eine „falsche Faszination“ am Technischen vorgeworfen. Stärker lassen sich die Intentionen Roland Rainers, der den Bau zusammen mit den Bremer Architekten Max Säume und Günter Hafemann verwirklichte, wohl nicht missverstehen.

Durch die jüngsten, das Bauwerk entstellenden Umbaupläne ist die Halle wieder in der Diskussion. Am 1. Mai feiert ihr Schöpfer, der sich – unterstützt von vielen BremerInnen – bekanntlich entschlossen hat, seine Urheberrechte an diesem Baukunstwerk auch gerichtlich durchzusetzen, seinen 93. Geburtstag. Ein Anlass, einmal das Gesamtwerk eines der bekanntesten und einflussreichsten Vertreter der österreichischen Nachkriegsarchitektur ins Auge zu fassen.

Auch wenn Rainer neben der Bremer Stadthalle (1964) mit der Wiener Stadthalle (1958) und der Ludwigshafener Friedrich-Ebert-Halle (1965) ähnlich wichtige Kommunalbauten verwirklichen konnte, so besteht doch der vielleicht noch nachhaltigere Teil seines Schaffens in seinen Wohnungs- und Siedlungsbauten. Betrachtet man beide Werkgruppen vergleichend, so wird deutlich, dass sich letztere zwar des ästhetischen Repertoires der Moderne bedienen, sich dabei aber gestalterisch äußerst zurückhalten. Roland Rainer, der sich wie kaum ein zweiter Architekt seiner Generation immer wieder in Büchern und Aufsätzen theoretisch zu Wort gemeldet hat, insistiert städtebaulich auf eine klare Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Ersterer entspreche „Architektur“, letzterer „Bauen“.

Rainer dazu 1978: „Dass Architektur seit jeher die möglichst weithin sichtbaren, dauerhaften, imponierenden Zeichen, Denkmale, Monumente zu setzen hatte, Zeichenhaftigkeit also eines ihrer wesentlichen, wenn nicht ihr wesentlichstes Element ist, war gewiss eine der wichtigsten Erkenntnisse der letzten Jahre. Sie sollte aber Architekten und Gesellschaft veranlassen, nachzudenken, welche Art von architektonischem und städtebaulichem Ausdruck, welche Zeichen dem Charakter unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung entsprechen. Außerdem sollte man sich bewusst sein, dass die Wirkung eines Zeichens als der bedeutungsvollen Ausnahme immer auf dem Gegensatz zur andersartigen Umgebung, vor allem zu den Wohnhäusern, beruht hat.“

Architektur braucht also das Bauen als eine Art dialektischen Gegenspieler. Diese Erkenntnis sieht Rainer schon bei den Pionieren der Moderne angelegt. Und er findet sie im anonymen Bauen anderer Kulturkreise. Rainer hat es in verschiedenen Büchern vorgestellt. Das Spektrum reicht vom Burgenland über den Iran bis nach China.

Was Rainer von vielen Kollegen seiner Generation unterscheidet: Er ist ein strikter Gegner der Wohnhochhauses. Ginge es nach ihm, bestünde die Stadt weitgehend aus einer Struktur verdichteter Flachbauten. Dass das auch in Großstädten funktioniert, zeigt die traditionelle Bebauungsstruktur chinesischer Städte, ist aber auch in London und Amsterdam nachzuvollziehen. Als deutsches Beispiel wäre hier Bremen im gleichen Atemzug zu nennen.

Rainer hat vor allem Wohnhäuser – und im größeren Maßstab Siedlungen – entwickelt, die um intime Gartenhöfe herum angelegt sind. Wichtig ist ihm die Nähe und Blickbeziehung zu Natur und Landschaft. Das hat ihn schon früh sensibel gemacht für die ökologische Dimension des Bauens. Von wegen: Faszination am Technischen. Schon 1948 kritisierte er in dem Aufsatz „Der Fluch des Papiers“ die absolute Geometrie der barocken Festungsbaumeister. Die Stadt werde hier „einem an sich nebensächlichen technischen Element untergeordnet, ähnlich wie heute dem Autoverkehr.“ E. Syring