RUSSLAND: PUTIN BETREIBT FAMILIÄRE UMVERTEILUNGSPOLITIK
: Ergebnislose Entschlossenheit

Die russische Rest-Öffentlichkeit spekulierte schon seit Monaten über die Entlassung des Regierungschefs Michail Kasjanow. Sie kam daher nicht unerwartet, nur der Zeitpunkt ist überraschend. Denn die Trennung vom Premierminister drei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen würde in anderen Gesellschaften wohl eher als ein Zeichen von Inkompetenz gewertet – warum sollte der Präsident bis zur letzten Minute warten, wenn ihm die Leistungen des Regierungschefs nicht passen? Wer sendet kurz vor Wahlen noch Signale von Unzufriedenheit und vor allem Instabilität aus, wo alle doch nur das eine wollen: Ruhe und möglichst keine Überraschungen?

Es gibt auch keine – durch die Entlassung der Regierung ändert sich in Russland nichts. Der Vorgang wirkt weder auf die Innen- noch auf die Außenpolitik. Mit Kasjanow tritt nur ein Relikt aus der vorangegangenen Ära Boris Jelzins zurück, ein Technokrat, der solange es noch ging die Interessen seines Clans verteidigte. Damit ist jetzt Schluss. Der Übergang vom Jelzin- zum Putin-Clan ist nun vollzogen. Putin drapierte diesen Schritt der familiären Umverteilungspolitik als einen Akt höchster politischer Entschlossenheit. Niemand, so sieht er seine eigene Inszenierung, habe diesen Schachzug erwartet, alle seien erstaunt über die Kraft des Präsidenten – wieder habe der Kremlchef bewiesen, wer der Herr im Hause ist.

Bei den Präsidentschaftswahlen im März dürfte diese Entscheidungsfreude nochmals mit 5 Prozent Zustimmung mehr zu Buche schlagen – statt vielleicht 80 erhält der Präsident nun möglicherweise 85 Prozent der Stimmen. In der gleichgeschalteten Landschaft des Putin’schen Russland simulieren derartige Manöver Bewegung, als gäbe es noch so etwas wie Politik, Widerspruch und Kontroverse. Dem ist nicht so. Alles Täuschung. Wenn der Präsident aus der Hüfte schießt, dann nur mit Platzpatronen. Nur in Tschetschenien wird scharf geschossen. Denn dort beruht die Wirklichkeit nicht auf Inszenierung. KLAUS-HELGE DONATH