Barke und Nussbaumfurnier

Die Herzlichkeit des Gesamtanspruchs: Heute schütten die Münsteraner Erdmöbel im Magnet betuliche Melodien und große Kübel guter Laune über ihrem Publikum aus

Und jetzt alle zusammen: „Allez, allez, allez hopp“. Und weil’s so schön ist, gleich noch einen Schritt weiter: „Keiner weint, keiner ruft Stopp“. Das, wie vielleicht bemerkt wurde, reimt sich sogar. Erdmöbel, so viel ist klar, und schon reimt es sich wieder, sind diesmal unterwegs, um massenhaft gute Laune in großen Kübeln auszuliefern.

Das war nicht immer so. Früher waren die vier Münsteraner melancholischer gestimmt. Dies Gefühl ist grundsätzlich immer noch da, aber eher als Hintergrundfolie, vor der das Leben halt doch weitergehen muss. So trägt die brandneue und insgesamt vierte Platte von Erdmöbel den Namen „Altes Gasthaus Love“, und da steckt doch tatsächlich schon vieles drin: Die Betulichkeit mancher Melodie, die gern mal altmodische Wortwahl von Songschreiber Markus Berges, die allumfassende Herzlichkeit des Gesamtanspruchs. Während die Töne einen ganz sanft um den Finger wickeln, werden Begriffe gesungen wie „Vergnügungslokal“ oder „Barke“, „Wasserschluckhusten“ oder „Nussbaumfurnier“.

Im Bezugsrahmen eines Popsongs mag das gemeinhin seltsam sein, klingt hier allerdings gar nicht seltsam, nicht wirklich jedenfalls. Das ist eine Kunst, eine kleine, niedliche Kunst über die kleinen, niedlichen Dinge, die unseren Alltag bestimmen. Und Erdmöbel beherrschen sie aus dem Effeff – um auch mal einen ausgedienten Begriff wieder zu beleben.

Mitunter droht die Gefahr, das Unternehmen könnte sich zu weit ins Schlagerhafte wagen. Da steht der Ich-Erzähler schon mal im „goldenen Licht auf dem Markusplatz“, aber die Idylle in Venedig wird gebrochen, weil sich leider „der falsche Schatz“ in den Arm kuschelt. Und wenn er beim Bossanova die „ew’ge Liebe“ findet, dann findet das im Aufzug statt, und zwischen erstem Stock und Erdgeschoss folgt bereits die Ernüchterung. Zudem erinnert die Stimme von Berges in ihrem leicht nasenverstopften Lamento an Norbert Leisegang von Keimzeit. So halbbeteiligt näselnd will niemals Pathos aufkommen, selbst wenn von blauem Himmel, großer Leidenschaft, Gondelfahrten und anderen verranzten Klischees die Rede ist.

Schlussendlich aber kommt dann doch wieder die Traurigkeit des Daseins durch. So spielen Erdmöbel den Soundtrack zu einem Morgen, an dem man noch unentschieden zwischen Verzweiflung und Hoffnung in die Welt blinzelt und sich dann trotz der allgemein erschütternden Weltlage und des katastrophalen Girokontostandes doch lieber auf die Suche nach dem kleinen Glück begibt. „Ich sag Ja und nicht Nein“, singt Berges im letzten Stück des Albums, „leicht ist die Luft und nicht Stein/ Ich will lieber glücklich sein“. Wer das will, und wer will das nicht, ist herzlich eingeladen mitzusingen.

THOMAS WINKLER

Heute, 21 Uhr, mit DJs Tim und Spencer u. a., Magnet, Greifswalder Str. 212–213, Prenzlauer Berg