Bitte nicht anrufen

Anfangs ging’s ums Wählen, danach um Baumärkte, Autos, Versicherungen, Rente: Was man den ganzen Tag erzählen muss, wenn auch die Sklaven in den Callcentern ihr Geld verdienen sollen. Ein leidenschaftlicher Erfahrungsbericht

von DETLEF KUHLBRODT

Kapitalismus ist scheiße, bedeutet Krieg und stürzt einen ständig in Konflikte, die befriedigend kaum zu lösen sind. Eigentlich zum Beispiel möchte man nicht aufmachen, wenn jemand klingelt und höflich sagt: „Werbung bitte“, aber man macht es doch, um dem Werbungszettelausteiler seine Arbeit nicht unnötig zu erschweren, und schmeißt dann halt jeden Tag den ganzen Werbedreck wieder weg.

Genauso ist es mit den Meinungsforschungsinstituten; höflich beantwortet man die Fragen, damit die Sklaven in den Callcentern auch was verdienen, trägt unbezahlt zum Profit der West-Stasi und ihrer Ekel erregenden Auftraggeber bei, obgleich man das alles prinzipiell ablehnt. Irgendjemand wird meine Nummer weitergegeben haben und zum Warmmachen gings’s anfangs ums Wählen. Danach um Baumärkte, Autos, Rente, Versicherungen und wie man die dazugehörige Werbung so findet. Eigentlich würde man immer am liebsten laut schreien: „Interessiert mich nicht“ oder „Halten Sie mich für bescheuert“. Ob man irgendeine Werbung „glaubhaft“ finden würde, „also ich finde die Langnesewerbung völlig glaubhaft und bin davon überzeugt, dass mir diese Werbung ein wirklichkeitsgetreues Bild der schönen Eiscreme vermittelt“, oder was? Kotz, kotz! Dass die einzigen Leute, die viel Süßigkeiten essen, entweder übermäßig fett oder drogensüchtig sind, interessiert die ja nicht mal.

Der Mann war neu im Callcenter, wollte zwischendurch auch immer noch ein bisschen plaudern und gab sich als Konsumkritiker zu erkennen. Eine Stunde dauerte das, wirklich; die ganze Palette rauf und runter: ob man mit der fachlichen Beratung beim Baumarkt zufrieden ist, ob einem dies oder jenes von tausend Produkten bzw. die Werbung dafür sympathisch wäre – der ganze Schwachsinn halt, so als ob es beim Kaufen um irgend so etwas wie Zufriedenheit ginge – man geht halt einkaufen, weil man irgendwelchen Krempel braucht; entnervt steht man stundenlang in irgendwelchen Geschäften, weil man sich nicht entscheiden kann, und wenn man dann zu Hause ist, ärgert man sich, dass man wieder das Falsche eingekauft hat.

Vieles an der DDR war sicher verachtenswert, aber man musste zumindest nicht sein halbes Leben darüber nachdenken, ob man nun Brötchen mit oder ohne Intelprozessor haben wollte. Oder Reisen. Wenn man also bei Bekannten unterkommt und nicht im Hotel, gilt das nicht als Reise und wie entwürdigend, wenn man dann gefragt wird, wieso man in diesem Jahr nicht verreisen würde, als sei man als Bürger verpflichtet zu reisen und diesen ganzen Reiseschwachsinn toll zu finden, und man fühlt sich als völliger Versager, wenn man fernmündlich ankreuzt: „wegen Geld“, und noch mehr, wenn der Callcentersklave dann nachfragt: „Bitte, Sie sprechen so leise, können Sie das nochmal wiederholen.“

Am Ende muss man dann die Hosen runterlassen: „Wie alt sind Sie, wie viel verdienen Sie?“, und man sagt es und könnte sich gleich wieder erschießen und der Typ sagt noch einmal: „Ich wünsche Ihnen dann mal viel Erfolg so weiterhin als freier Journalist“, und sagt einem auch noch – so leicht tadelnd und unter uns –, dass man immer zu leise gesprochen hätte.