AKW-Länder wollen nicht abschalten

Protestbrief an Bundeskanzler: Unionsländer geben Vorwurf mangelnder Terrorsicherheit von AKWs an Bund zurück

AKW-Konzerne schlagen „zur Verbesserung der Sicherheit Konzept einer Vernebelung vor“ Greenpeace hat nach dem 11. 9. 2001 die Stilllegung der deutschen AKWs beantragt

HANNOVER taz ■ Rechtlich gesehen war es nur ein Ratschlag. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, hat auf den mangelnden Schutz der Atomkraftwerke vor Terroranschlägen aufmerksam gemacht und eine schnelle Stilllegung der fünf ältesten, am wenigsten geschützten Reaktoren in Deutschland angeregt. Dennoch herrscht große Aufregung.

Vier der fünf Bundesländer, in denen hierzulande noch Atomreaktoren betrieben werden, haben jetzt einen Brief an Bundeskanzler Schröder verfasst, in dem sie ihrerseits dem Bund Untätigkeit vorwerfen. Der Schutz der AKWs gegen gezielten Flugzeugabsturz werde „seit über einem Jahr erörtert, ohne dass der Bund seinen Aufgaben nachgekommen sei“, heißt in einem von den Umweltministern von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen verfassten Brief an Gerhard Schröder. Der Bundesumweltminister habe den atomrechtlichen Aufsichtsbehörden der Länder keinerlei Erkenntnisse über eine Verschärfung der Bedrohungslage vorgelegt. Bei einer neuen Bedrohungslage müsse die Bundesregierung unverzüglich handeln. Bei einer unveränderten Bedrohungslage sei eine Klarstellung zu den Äußerungen des BfS-Präsidenten geboten. Wenn Königs Stilllegungsforderung allerdings einem Aufschnüren des Atomkonsenses diene, müsse sich der Bund direkt mit den AKW-Betreibern in Verbindung setzen.

Mit öffentlicher Entrüstung reagierten auch AKW-Betreiber auf die Anregung des BfS-Präsidenten, die fünf ältesten bundesdeutschen Reaktoren schnell abzuschalten und dafür dem Atomkonsens entsprechend neuere Anlagen länger am Netz zu lassen. Die E.ON Kernkraft wies etwa „entschieden die Behauptung zurück“, die Betreiber seien nach den Anschlägen des 11. 9. 2001 in den USA ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Seit Frühsommer vergangenen Jahres liege dem Bundesumweltminister „ein umfangreiches Schutzkonzept – unter anderem mit Tarnmaßnahmen für die Anlagen“ zur Prüfung vor. Man erwarte von Bundesumweltminister Jürgen Trittin und vom Bundesamt für Strahlenschutz endlich eine Freigabe dieser Maßnahmen.

Über die Vorschläge der Betreiber, die die Gesellschaft für Reaktorsicherheit noch begutachtet, wollen Bund und Länder nach Angaben des niedersächsischen Umweltministeriums im kommenden Monat beraten. Laut Bundesumweltministerium haben die Betreiber lediglich „zur Verbesserung der Sicherheit von Atomkraftwerken das Konzept einer Vernebelung vorgeschlagen“.

Der Aufbau von Nebelwerfern rund um die Atommeiler, die bei einem Angriff mit Flugzeugen Terrorpiloten die Sicht auf das Ziel nehmen sollen, ist die billigste Schutzmaßnahme, kann es aber in der Wirkung mit zusätzlichen Schutzbauwerken nicht aufnehmen. Von einer freiwilligen Maßnahme kann dabei aber nicht die Rede sein, schließlich verpflichtet das Atomgesetz die Betreiber trotz des Konsenses mit der Bundesregierung weiter, „Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ zu gewährleisten.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte daher bald nach dem 11. 9. einfach die Stilllegung der deutschen AKWs beantragt. Weil die Länder über die Anträge bislang nicht entschieden haben, hat die Umweltorganisation mit Blick auf die AKWs in Biblis und Brunsbüttel schon Untätigkeitsklagen eingereicht.

JÜRGEN VOGES