■ LeserInnen zur rot-grünen Reformpolitik
: Kapitalismus im „roten Gewand“

Wir haben nicht gegen Wirtschaftsliberalismus mit den Kandiaten Schröder, Eichel und anderen gekämpft, um uns jetzt kalten Kapitalismus im „roten Gewand“ einschenken zu lassen. Seit 140 Jahren gilt, staatstragend ausgedrückt: „Die breiteren Schultern müssen mehr tragen, als die schwachen.“ Auf SPD-Deutsch: „Erst müssen die dicken Geldbeutel zahlen und dann erst die kleinen Leute.“ Wer diesen Konsens verlässt, ist alles, nur kein Sozialdemokrat. Vor 20 Jahren waren die 68er verkrachte Bürgerkinder, die uns mit ihrem theoretischen Marxismus ins 19. Jahrhundert links außen katapultieren wollten, und jetzt, da sie die höchsten Staatsämter erklommen haben, fallen sie in das krasse Gegenteil und kapitulieren vor einem menschenverachtenden Kapitalismus, der sich zunehmend breit macht.

Auch wenn die Schröders, Eichels und Clements etwas anderes sagen, bleibt es ein Skandal, dass eine Krankenschwester oder egal welcher Arbeitnehmer in diesem Staat mehr Steuern zahlt, als ein Weltkonzern. Seit 1863 gilt für uns, dass die Ellenbogen nicht der wichtigste Körperteil eines Menschen sind und die Raffgier im Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte sein wird.

Ich und die meisten meiner Kollegen und Genossen haben ihre Mandate von den kleinen Leuten erhalten und keinen Schwur auf Regierungsbeteiligung von ein paar abgehobenen verbürgerlichten Funktionären geleistet, die vergessen haben, woher sie kommen. Ich glaube an die Ideale der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit), die die Ideale der Deutschen Arbeiterbewegung sind, und nicht an den Sozialabbau einer Regierung, die längst ihre sozial-ökologische Orientierung verloren hat. Dass wir mal für sozialdemokratische Politik in der SPD kämpfen werden müssen, schmerzt am meisten von allem.

FERHAT CATO, DGB-Vorsitzender Bendorf

SPD-Vorsitzender Koblenz-Goldgrube

betr.: „Rezept mit Nebenwirkungen“ (SPD-Leitantrag), Kommentar von Barbara Dribbusch, taz vom 29. 4. 03

Völlig richtig, wie Barbara Dribbusch schreibt, es geht nicht nur ums Sparen, wenn Arbeitslosenhilfeempfänger auf Sozialhilfeniveau gedrückt werden sollen. Es geht um eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik, die Herausbildung eines neuen Niedriglohnsektors.

Wirtschaftsminister Clement ist da ganz unverblümt: Arbeitslose Frauen möchte er „aktivieren“, bei Familien in Gelsenkirchen anzuheuern, um dort zu Niedrigstlöhnen die Oma zu pflegen oder zu putzen. So jüngst in einem Hamburger Nachrichtenmagazin. Damit das die neuen Arbeitgeber nicht zu teuer kommt, wird ihnen die Lohnzahlung natürlich steuerlich ordentlich subventioniert. Leistung „lohnt“ sich dann auch für die Arbeitslose: Sie bleibt trotz harter Arbeit Sozialhilfeempfängerin. Liegt da die Zukunft der Volkswirtschaft?

Angesichts der absehbaren Erfolglosigkeit von Schröders Agenda dürfte die nächste Reform nicht auf sich warten lassen: Die Sozialhilfe könnte auch noch manchen neoliberalen Schliff vertragen. Vom „Spielraum nach unten“ geben Flüchtlingswohnheime eine Ahnung. Ob uns nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe auch diese absehbaren Einschnitte als Schritte in Richtung grüner Grundsicherung verkauft werden?

WILHELM ACHELPÖHLER, Münster

betr.: „Schröder bleibt – die Werte gehen“, Kommentar von Christian Semler, taz vom 17. 4. 03

Endlich! Das Aufbegehren in der SPD war längst überfällig. Es ist doch schlicht unerträglich, dass ausgerechnet Sozialdemokraten die Umverteilung von unten nach oben als Rezept für die Schaffung von Arbeitsplätzen vertreten müssen. Die neoliberale Politik des Bundeskanzlers muss Genossen, die noch an Gerechtigkeit und Solidarität als Grundwerte glauben, weh tun. Dass sie dabei, wie Christian Semler feststellt, um den Verlust ihrer Identität fürchten müssen, liegt auf der Hand. Dabei hat die Realität doch schon längst bewiesen, dass die von der Bundesregierung vorgetragene Rechtfertigung für die Zerstörung unseres bewährten Sozialsystems, dies würde Arbeitsplätze schaffen, nicht stimmt. Wie die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen zeigt, hat die rot-grüne Wirtschaftspolitik den weiteren Abbau der Arbeitsplätze noch begünstigt. Wie kann es auch der Konjunktur und den Arbeitsplätzen nützen, wenn man den Bürgern, die ihr Einkommen weitgehend verkonsumieren, den Gürtel enger schnallt und das ihnen abgenommene Geld denjenigen in die Taschen schaufelt, die es zum Spekulieren an der Börse verwenden?

Auch wenn Schröder, Clement und Müntefering gebetsmühlenhaft ihre Reformen preisen. Sie stellen nichts anderes dar als den Rückfall in einen Feudalismus, der durch Wirtschaftsbosse geprägt wird. Falls der Kanzler nach bewährtem Muster versuchen sollte, die Basis durch Rücktrittsdrohung zu erpressen, dann sollten die Genossen den Mut haben, ihn gehen zu lassen. Und den Fraktionsvorsitzenden Müntefering und den Superminister Clement sollten sie gleich mitgeben. […]

TRAUTE KIRSCH, Beverungen

betr.: „SPD-Linke bleibt hart“ u. a., taz vom 16.4. 03

Genauso wenig wie die Arbeitsmarktreformen einen Arbeitslosen von der Straße holen können, bringen die so genannten Sozialreformen einen Wirtschaftsaufschwung.

Wie die Exportrekorde beweisen, sind es nicht die seit 30 Jahren prozentual gleich gebliebenen Lohnnebenkosten, die das Bruttosozialprodukt im Keller lassen, sondern die durch Lohndrückerei ständig sinkende Kaufkraft der Arbeitnehmer und die Zunahme der Arbeitslosenzahl. Der Einzelhandel leidet nicht unter fehlender Kauflust, sondern schlicht und einfach an Kaufkraft. Wirtschaftspolitisch glaubt sich Schröder auf dem „Weg zur neuen Mitte“ gut zu Fuß und hat dabei nicht bemerkt, dass er sich auf dem Holzweg befindet. Hätte er doch nur auf Lafontaine gehört!

HANS KLOEP, Bergisch Gladbach

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