DER AUSBILDUNGSGIPFEL KANN DAS DUALE BILDUNGSSYSTEM NICHT RETTEN
: Das Ende des Facharbeiters

Jetzt betteln sie wieder. Gewerkschafter, Minister, sogar die Funktionäre der Wirtschaftsverbände beknien die Unternehmen, doch, bitte! bitte!, mehr Lehrstellen bereitzustellen. Sogar ein Ausbildungsgipfel wurde gestern ausgerufen, um die ach so tolle duale Ausbildung, das vermeintliche Paradestück des deutschen Bildungswesens, zu bewahren. Unsinn. Hohle Phrasen. Die Fahndung nach Lehrstellen sinnlos. Denn das duale Ausbildungssystem ist mausetot.

Verantwortlich ist dafür weder die Demografie noch die Konjunktur. Es sind nicht zu viele Schulabgänger, die es nur übergangsweise gibt. Auch ist es nicht die schlechte Wirtschaftslage, die einen momentanen Engpass beim Angebot an Lehrstellen bewirkt. Nein, die Industrie hat ihr Verhältnis zu Beruf und Qualifikation geändert. Sie senkt, aus Einsparungserwägungen heraus, die Zahl ihrer Plätze zum Erwerb eines Berufs. Und sie passt ihre Ausbildungsstrategien auch inhaltlich-methodisch an. Nicht mehr der Facharbeiter, der vom ersten Lehrjahr an in einem jahrelangen Prozess handwerkliche Fähigkeiten und Poduktionserfahrung erwirbt, ist ihr Held. Sie sucht den Problemlöser, der andere Eigenschaften haben sollte: Fähigkeit zur schnellen Wissensaneignung, Methodenkompetenz, sozial-kommunikative Gaben.

Der Tod des guten, alten Facharbeiters als Typ ist aber mehr als interessanter Stoff für industriesoziologische Seminare. Die Entwicklung hat eine andere, dramatische Konsequenz: Es wird ein neues Lumpenproletariat auf den Markt oder vielmehr auf die Straße geworfen. Für den Facharbeiter wurden früher die Absolventen von Haupt- und Realschulen rekrutiert. Das geht heute oft nicht mehr, weil ihnen die Voraussetzungen für den Job des Wissensarbeiters fehlen. Die Arbeitgeber lamentieren deshalb über die schlecht qualifizierten „Uneinstellbaren“. Pisa hat zwar bewiesen, dass das kein bloßes Gerede ist. Nur kann die Antwort auf keinen Fall heißen, bestimmten Jugendlichen gar keine Ausbildungsplätze anzubieten. Sie sind nicht „schuld“ an ihrer Berufsunfähigkeit, sondern die Verlierer eines maroden Schulsystems. Dieses System muss von Grund auf neu zusammengebaut werden. CHRISTIAN FÜLLER