Die Möchtegern-Imperialisten

DAS SCHLAGLOCH    von KLAUS KREIMEIER

Die USA agieren so kurzsichtig, dass sie mehr Schaden anrichten, als dies früheren Imperien gelungen ist

You simply cannot have an empire without imperialists – out there, on the spot – to run it. Niall Ferguson

Die Amerikaner können eine Menge, dabei muss man nicht einmal mit süffisanter Ironie auf die Überlegenheit von Coca-Cola und Jeanshosen verweisen. Auch die Literatur kann sich sehen lassen, in Hollywood werden immer wieder wunderbare Filme gemacht, und das Fernsehen (so wie es heute funktioniert) haben sie schließlich auch erfunden. Überhaupt alles Softe unserer Konsumwelt, nicht nur Longdrinks, Soaps und MTV, verdanken wir den Amerikanern. Das muss einmal ausgeprochen werden, weil das Klischee vom brutalen Marine-Monster allmählich überhand nimmt. Auch dann, wenn sie Krieg führen, formatieren sie für den Rest der Welt erst einmal ein neues Medienereignis. Da mag mancher die Nase rümpfen, aber Fox und CNN, daran führt keine europäische Häme vorbei, sind nun einmal ein zentraler Bestandteil unserer globalen Kultur.

Gewiss, nicht immer sind die Amis innovativ. So haben sie die Idee mit den „embedded correspondents“ von den nationalsozialistischen Propagandakompanien geklaut, die für Hitlers Wochenschauen sogar weitaus beeindruckendere Bilder geliefert haben. Aber das hat sowieso kaum ein Rezensent gemerkt – und warum soll man nicht die geschichtliche Erfahrung beerben, wenn sie „Anwendungen“ bereithält; das ist der heutige Begriff für Know-how, das sich umgehend in nützliche Technologien, Raketen, Computerprogramme oder Bilder für die Kriegsberichterstattung umsetzen lässt. Die Amerikaner sind in diesem Punkt ziemlich auf Draht. Nur eines können sie nicht: Sie sind kulturell, historisch und konstitutionell unfähig, ein Weltreich zu gründen und zu verwalten. Die ganze Idee vom „new American century“ ist Mumpitz – das müsste den Amis mal endlich einer deutlich sagen.

So wie Niall Ferguson. Der Professor für Wirtschaftsgeschichte in New York und Autor eines Bestsellers über Aufstieg und Niedergang des britischen Empires hat einen fulminanten Artikel für das aktuelle New-York-Times-Magazin verfasst, unter der schönen Überschrift „The Empire Slinks Back“. Sympathischerweise outet er sich gleich am Anfang mit souveräner Selbstironie als „voll bezahltes Mitglied der neoimperialistischen Gang“, um klarzustellen, dass er Gründe hat, über die Mittelmäßigkeit, mit der die Amerikaner ihr Imperium zusammenzimmern, äußerst betrübt zu sein. Die „Flüchtigkeit“ der imperialen Strategie, das hektische Konzept, erst einmal alles kurz und klein zu schlagen und sich dann so schnell wie möglich aus der Affäre zu ziehen – all das regt Ferguson auf. Und dann lässt er, aus der immensen Fülle seiner Kenntnisse, in einer langen Rückblende die Tugenden des britischen Empires aufmarschieren. Zweifellos: Eine unblutige Angelegenheit war das nicht. Aber wie viel Intelligenz, kulturelle Motivation und vor allem Ausdauer waren da am Werk!

Ausdauer – damit fängt alles an; ohne sie ist es für die Katz, in abgelegenen Gegenden den Aufbau funktionierender Marktstrukturen, eine gesetzestreue Verwaltung oder gar den Übergang zu einer repräsentativen Demokratie zu planen. Wer unter Queen Victoria in die Kolonien ging, richtete sich darauf ein, dort drei oder vier Jahrzehnte seines Lebens zu bleiben. In den Irak, der sich von 1920 bis 1958 unter britischem Einfluss entwickelte, schickte England seine besten Orientalisten, sprachkundige Leute, die ihrem Kingdom schrankenlos ergeben und gleichzeitig neugierig auf das „Andere“, auf Exotik und fremde Sitten und Gebräuche waren. Ein echter Tory verachtete gewiss nicht die Hotels der Extraklasse, aber er ließ sich auch auf Dschungel und Wüste, Moskitosümpfe und von feindlichen Völkern wimmelnde Gebiete ein. 2,6 Millionen Briten gingen zwischen 1900 und 1914 in den Kolonialdienst, 6 Millionen waren es 1957, auf dem Höhepunkt des Empires – und stets rekrutierte die Regierung für die verantwortlichen Posten die Elite, Absolventen von Oxford und Cambridge – „to spread commerce, christianity and civilization all over the world“.

Kolonialromantik? Keineswegs. Ferguson rechnet den Amerikanern knallhart vor, dass sie bei aller globalen Präsenz ein Volk engstirniger, unwissender und antriebsschwacher Stubenhocker geblieben sind. England exportierte seine Elite – die USA importieren sie, darunter fähige und weniger fähige Menschen, und schicken sie womöglich gleich in eines ihrer halsbrecherisch planlosen Gemetzel: Ganz nebenbei weist Ferguson darauf hin, dass sehr viele der G.I.s, die Rumsfeld in den Irak verfrachten ließ, Einwanderer der ersten Generation gewesen sind. Die Briten gingen, mit ihren Truppen und Missionaren, stets tief ins Land, bauten ihre Baracken neben die Dörfer der Einheimischen und pflanzten den Union Jack auf – fertig; dann ging es an die Arbeit. Für den Amerikaner, der heute ins Ausland reist, besteht die Fremde aus amerikanischen Militärbasen und amerikanischen Fünfsternehotels; er stellt fest, dass alle Menschen Kaugummi kauen und in seiner Sprache reden, und kehrt befriedigt in God’s own country zurück.

Sicher, auch die Briten brauchten hartgesottene Militärs für das schmutzige Geschäft. Aber ihre politischen Auftraggeber in London hatten die römische Geschichte studiert und bestanden darauf, dass die Commanders in den Kolonien der zivilen Gewalt zu gehorchen hatten. Anders hätte das Prinzip der „indirect rule“ hätte die Errichtung pflichttreuer, von Einheimischen besetzter Administrationen, hätten Kommerzialität, Kultur und Kirche und nicht zuletzt die erfolgreiche Globalisierung des Kricket-Sports nicht funktioniert. Wichtig war die Kenntnis, zumindest das Sich-hineinhören-Können in afrikanische, arabische oder indische Sprachen – die Amerikaner hatten schon die allergrößten Schwierigkeiten, nach dem 11. September auf ihren Colleges jemanden zu finden, der des Paschtunischen mächtig war.

Die ganze Idee vom „new American century“ ist Mumpitz – das müsste den Amis mal endlich einer sagen

Mr. Garner im Office of Reconstruction umgibt sich in Bagdad mit Leuten, die schon in Jugoslawien, auf Haiti und in Somalia dabei waren, das heißt viel heißen Wirbel entfacht und das Land so schnell wie möglich wieder verlassen haben. Angesichts dieser Tatsache schlägt Ferguson die Hände über dem Kopf zusammen: Das sind Versager, Möchtegern-Imperialisten, die – wie die gesamte Bush-Administration – in Wochen, allenfalls Monaten rechnen, anstatt den langen Atem und die Standfestigkeit nicht nur für „shock and awe“, sondern für solides imperiales Wirtschaften mitzubringen.

Was Ferguson dem Leser überlässt, ist die Schlussfolgerung: Eine Weltmacht, die ihre hegemonialen Pläne so kurzsichtig betreibt, ohne Ausdauer, Aufopferungsgeist und Neugier für die Kulturen, die sie unterwerfen will, kann in der Welt mehr Schaden anrichten, als dies früheren Imperien gelungen ist. Bleibt als Trost die Aussicht, dass Amerika umso schneller scheitern und sich in seine „splendid isolation“ zurückziehen wird, weil ihm zu imperialer Machtausübung einfach die Begabung fehlt.