: Über keine Brücke sollst du gehn
Brückenabrisse wegen des A 1-Ausbaus schneiden zwölf Bauern von ihren Flächen ab. Sie sehen ihre Höfe gefährdet und fordern Entschädigung, da sie Umwege bis zu 15 Kilometer fahren müssen
von ROLAND MEYER
Plötzlich endet für zwölf Bauern aus den kleinen Dörfern Hatzte und Ehestorf die Welt kurz hinter ihren Höfen: Weil im Zuge des sechsspurigen Ausbaus der A 1 hinter Sittensen alle vier Brücken zugleich abgerissen wurden, sind die Landwirte vom Großteil ihrer Flächen quasi abgeschnitten. Bis die neuen Bauwerke im nächsten Herbst fertig sind, müssen sie mit ihren Traktoren Umwege von zum Teil 15 Kilometern fahren. Tag für Tag, bei jeder Tour. „Auf einige werden Mehrausgaben von bis zu 50.000 Euro zukommen“, schreiben sie in einem Hilferuf an Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD).
Als die Strecke Mitte der 1930er Jahre als Reichsautobahn 2 gebaut wurde, führte man die Trasse wegen eines störenden Moores unmittelbar an den beiden Ortschaften vorbei. Seitdem halbiert die heutige A 1 dort die traditionelle Feldmark. Um diesen Effekt zu mildern, spendierten die Machthaber damals auf nicht einmal drei Kilometern Strecke vier Brücken für kleine Wirtschaftswege. Nie hätten sich die Hoferben träumen lassen, dass wegen des Ausbaus der Strecke gleich alle Verbindungen auf einmal gekappt werden.
„Bisher waren meine Schläge durchschnittlich zwei Kilometer vom Hof entfernt. Jetzt sind es 14“, sagt Hartmut Pils, einer der betroffenen Landwirte. Einer seiner Kollegen benötigte zum Füttern der Kühe bisher 90 Minuten am Tag. Nun sind es vier Stunden – der Siloplatz liegt auf der anderen Seite der Autobahn.
Hiltrud Eckhoff bewirtschaftet 110 ihrer 160 Hektar im jetzt abgeschnittenen Süden. „Normalerweise kostet die Grasernte 10.000 Euro pro Schnitt“, sagt sie. Wegen des Umwegs werde sie zusätzliche Gespanne des Maschinenrings anheuern müssen und rechne mit einer Verdopplung der Kosten. Bei vier Schnitten bis zum Brückenneubau macht das 40.000 Euro. Und auch das Düngen, Drillen und Spritzen wird viel aufwendiger.
Bauer Pils vergleicht: „Unser Arbeitsplatz wird zerschnitten. Das ist, als wenn beim Büroangestellten der Schreibtisch auf den Dachboden kommt, das Telefon ins Erdgeschoss und der Computer in den Keller – und trotzdem soll er das Gleiche schaffen.“
Die 73 Kilometer lange Ausbaustrecke ist in 13 Abschnitte von etwa sechs Kilometern Länge eingeteilt. „Zuerst wird in denen mit ungeraden Nummern gebaut, zwei Jahre später in den anderen“, erklärt Ingo Simon vom privaten Baukonsortium. Aus logistischen Gründen sei es nicht möglich, innerhalb eines Abschnitts eine Brücke vorerst auszusparen. Dazu Pils: „Aber hätte man unseren Abschnitt nur um 500 Meter verkürzt, hätte eine der Brücken zunächst bleiben können.“ Teure Behelfsbrücken – die andere denkbare Lösung – sieht das Planfeststellungsverfahren nur für Bundes- und Landesstraßen vor. Daran ist das Konsortium gebunden. Dessen Vertreter Simon sagt auch, dass die Gemeinden und das Landvolk offenbar während des Verfahrens geschlafen hätten.
Pils weist dies zurück. Auf die Bedeutung der Brücken habe man schriftlich hingewiesen. Und das sie zeitgleich abgerissen werden, sei aus den Unterlagen nicht hervorgegangen, sondern erst später nichtöffentlich beschlossen worden. „Bauabläufe sind nicht Teil von Planfestellungsverfahren“, erklärt dazu Julia Fundheller, die für das Land Niedersachsen die Abwicklung des Baus überwacht. Zurzeit würden Hilfen für die betroffenen Landwirte geprüft. Fundheller weist darauf hin, dass die alten Brücken seit jeher auf neun Tonnen Last begrenzt gewesen seien – und mit schwerem Gerät daher ohnehin nicht hätten befahren werden dürfen.
Und die Brücke in Elsdorf, die die Bauern jetzt auf ihren Umwegen nutzen, sei so marode, dass bei zwölf Tonnen Schluss ist – keine Chance für moderne Güllefässer. Dort werde zum Jahresanfang, also erheblich früher als ursprünglich vorgesehen, eine starke Behelfsbrücke gebaut. Und die vier zukünftigen Brücken bei Hatzte würden so dimensioniert, dass die Bauern sie benutzen dürfen.