Geheimnisvolle Inszenierungen

Er zieht vielteilige Bildsequenzen dem ultimativen Einzelfoto vor: Der US-amerikanische Fotograf Duane Michals, der die aktuelle Schau „Corpus Christi“ mit bestückt, kommt zum „Artist Talk“ in die Deichtorhallen

Wenn die Fotografie ein Medium des Alltags genannt worden ist, so ist der 1932 in Pennsylvania geborene Duane Michals kein Fotograf. Das Beiläufige, Kleine hat den New Yorker, der jetzt zum Gespräch in die Deichtorhallen kommt, kaum jemals faszinieren können – und bis heute sind es die großen Themen, die ihn vorantreiben: Das Glück zweier Menschen, die Familie, die Religion und immer wieder der Tod.

Schon seit den Sechzigern montiert er Schwarz-Weiß-Fotos zu persönlichen, biographisch gefärbten Foto-Text-Emblemen, gibt seinen Bildkompositionen Texte bei, die Deutungen nahelegen. Michals gilt als Pionier der fotografischen Inszenierung, denn die Suche nach dem „entscheidenden Moment“ der Fotografie hat ihn nie interessiert. So entstanden bald vielgliedrige Bildsequenzen: „Ich war unbefriedigt mit dem Einzelbild, weil ich es nicht zu einer weiteren Aussage umbiegen konnte. In einer Sequenz deutete die Summe der Bilder an, was ein einzelnes nicht zu sagen vermag.“

Michals fügt seitdem meist mehrere Fotos zusammen zu einer Bildgeschichte, die von geheimnisvollen Begebenheiten erzählt, wie etwa seine Arbeit Paradise Regained von 1968. Auf sechs Bildern nimmt die Natur Besitz von einem Büroraum, überall beginnen Pflanzen zu sprießen – und die beiden Büroangestellten verlieren nach und nach ihre Kleider. Alles ist in Bewegung – nur den lakonischen Gesichtsausdruck hat das Paar im Paradies noch nicht verloren.

Viele Arbeiten von Duane Michals beschäftigen sich mit dem Sterben. Michals Nähe zu christlicher Symbolik ist offensichtlich – und seine Haltung zwischen Spiritualität und leisem Humor trifft immer wieder das Herz. Grandpa goes to heaven zeigt einen kleinen Jungen vor dem Bett des sterbenden alten Mannes. Nach und nach wachsen diesem Flügel – und schließlich entschwindet er aus dem Fenster, hinein ins Licht.

Dass das Foto als Medium von großer Beweiskraft gilt, ist Thema des Einzelbildes This photograph is my proof. Ein junges Paar sitzt auf einem Bett, umarmt sich und blickt voller Glück in die Kamera – und in die Zukunft. Michals‘ handgeschriebener Text darunter erzählt von dieser Zeit, die es wirklich gab, auch wenn es ihm heute kaum mehr möglich scheint: „Es gab diesen Nachmittag wirklich, an dem alles gut war. Sie liebte mich, und wir waren glücklich. Diese Fotografie ist mein Beweis.“

Auch eine andere Fotografie mischt Trauer über Vergangenes mit sanfter Melancholie: Es ist das Bild einer Familie. Ein Junge steht zwischen seinen Eltern, die ihn mit fragendem, wachen Blick beobachten. Der Blick des Jungen ist stumm, er blickt ins Nichts. Darunter hat Michals geschrieben: „Vater sagte immer, er würde mir einen Brief schreiben. Jetzt ist er tot – und der Brief kam nie an. Und ich habe nie den Platz herausgefunden, wo er seine Liebe versteckt hat.“ In solchen Momenten hilft wohl nur ein langer Blick in den Spiegel. Ein junger blondgelockter Mann, es ist Duane Michals selbst, blickt sein Zerrbild an. Michals hat auch für diese Arbeit einen einfachen Titel gewählt: Wer bin ich? Marc Peschke

Artist Talk mit Duane Michals (in englischer Sprache): Sa, 28.2., 16.30 Uhr, Deichtorhallen