Deutsche, Polen und Autisten

Eine zweitägige Konferenz sucht kulturell Trennendes und Verbindendes zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarn. Und nach ganz konkreten Chancen für Berlin

Wenn es um das Thema EU-Erweiterung geht, scheint in Berlin derzeit eine Art Torschlussfieber zu grassieren. In den Volkshochschulen ist „Polnisch für Anfänger“ beliebt wie nie zuvor, und im Tagungs- und Konferenzzirkus der Hauptstadt haben Mittel- und Osteuropathemen Hochkonjunktur. Da stellt sich natürlich die Frage, worin der Erkenntnisgewinn einer zweitägigen Tagung mit dem Titel „Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn“ bestehen könnte.

Die Antwort ergibt sich, wenn man auf die beiden Institutionen schaut, die die Tagung heute und morgen veranstalten. Da ist zum einen das Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Uni, das immer wieder für Überraschungen gut ist. Mit von der Partie ist zweitens die „Kulturinitiative 89“, die sich mit ihren „Debatten im Turm“ diesen Themen seit nunmehr zwei Jahren nähert. Man darf also gespannt sein.

Dies umso mehr, als mit Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), Mecklenburgs Arbeitsminister Helmut Holter (PDS) und dem Chef der deutsch-polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft TWG, Reinhard Klein, drei Akteure aufeinander treffen, deren Osteuropazugang unterschiedlicher nicht sein könnte. Während Holter im strukturschwachen Vorpommern vor allem auf Stettin setzt, steht Strieder für eine Politik des „Es geht schon von alleine“. TWG-Chef Klein wiederum wird die Politiker fragen, mit welcher Berechtigung sie sich ausgerechnet im Beitrittsjahr aus der Beratung für kleine und mittlere Unternehmen zurückziehen.

So konkret Fragen wie diese sind, so vorsichtig nähert man sich dem Themenkomplex „kulturell Trennendes“ und „kulturell Verbindendes“. Hier sind es vor allem Vertreter aus Polen, die vor dem Hintergrund verschiedener Erfahrungen in der Vergangenheit ihre Position zu Deutschland und einem gemeinsamen Europa zu bestimmen suchen. Der Warschauer Germanist Tomasz Pzczcólkowski etwa wird über die unterschiedliche Wahrnehmung der DDR und der Bundesrepublik vor 1989 berichten, und der Leiter des Collegium Polonicum in Slubice, Krzysztof Wojciechowski, hat die Gelegenheit, zu erklären, warum ihm seine „Lieben Deutschen“ (so der Titel seines Buches) manchmal auch fremd sind. Und dann ist da ja noch die Frage, warum sich Bürgerbewegungen und Linke in den Nachwendejahren so unterschiedlich entwickelt haben. Ob es in Polen beim Lagerkampf zwischen „Post-Solidarność“ und „Postkommunisten“ bleibt oder ob im Zuge der europäischen Integration auch neue Bündnisse entstehen.

Ergänzt wird der Themenreigen schließlich von subjektiven Berichten, Lesungen und Beobachtungen: Aus Tschechien (das in der Tagung leider viel zu kurz kommt), dem deutsch-polnischen Grenzgebiet oder verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Und von einem Beitrag der ganz eigenen Art. „Autism“ heißt ein musikalischer Bilderbogen, der soeben im Verlag des Klubs der Polnischen Versager erschienen ist. Auch darin geht es um Europa, oder besser, um den „ganz normalen deutsch-polnischen Alltagswahnsinn in Berlin“. UWE RADA

Die Tagung findet heute ab 10 Uhr und morgen ab 9 Uhr in der HU statt. Informationen unter www.kulturation.de