Zeit des Erwachens

Der VfB Stuttgart verliert sein Achtelfinal-Heimspiel in der Champions League gegen Chelsea London mit 0:1 und beendet damit auch auf internationalem Parkett seine wunderbaren Höhenflüge

AUS STUTTGART TOBIAS SCHÄCHTER

Das erste Wort gebührte dem Geburtstagskind. Es sagte: „Im Fußball ist nie alles verloren.“ Erwin Staudt musste sich an seinem 56. Wiegenfest erst einmal Mut zusprechen – und er setzte dabei unverdrossen auf das Prinzip Hoffnung. Was hätte er auch anderes tun sollen? Dem ganzen VfB Stuttgart, dem Staudt als hauptamtlicher Präsident und schwelgender Fan vorsteht, bleibt doch vorerst nicht viel mehr übrig. Im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League unterlag der VfB jedenfalls dem FC Chelsea London auf eigenem Geläuf mit 0:1. Mehr als Hoffnung bleibt da wirklich nicht.

Aber ob das wohl reicht? Die 40.000 Schwaben unter den 42.000 Zuschauern jedenfalls gingen arg bedröppelt nach Hause – und damit so ganz anders als noch in der Vorrunde: Da waren sie von ihren jungen Helden noch ein jedes Mal ziemlich euphorisiert ins Bett geschickt worden. Der Herbst war jene Zeit, in der die Begeisterung am größten war im Schwabenland – und Manchester United, Glasgow Rangers sowie Panathinaikos Athen geschlagen wurden. „Im Herbst“, sagte am Aschermittwoch nun auch Felix Magath, der Trainer des VfB, „im Herbst hätten wir diese Partie wahrscheinlich gewonnen.“

Die Stuttgarter Nachrichten hatten das schon vorher irgendwie kommen sehen. „Auf der Suche nach der neuen Euphorie“ überschrieb das Blatt die Partie gegen die Weltauswahl von Roman Abramovitschs Gnaden, dem schwerreichen russischen Privatisierungs-Profiteur. Am Ende der 90 Minuten aber stand ein schwerer Dämpfer für die Rot-Weißen. Dabei sind sie in den ersten zehn Minuten „abgegangen wie die Raketen“, wie nicht nur Erwin Staudt fand. Aber eine perfekte Flanke des Verteidigers Glen Johnson in der zwölften Minute ließ die Stuttgarter Rakete erkennbar an Fahrt verlieren: Fernando Meira versuchte mit einer mächtigen Grätsche vor dem einschussbereiten Crespo zu klären. Der Ball aber flog statt ins Seitenaus ins Tor des machtlosen Torwart-Titanles Timo Hildebrand. „Das hat uns durcheinander gewirbelt. Wir haben unsere Linie und unser Selbstbewusstsein verloren“, analysierte Felix Magath.

So richtig schlecht, als dass man jetzt von Krise sprechen könnte, spielte der VfB freilich auch gegen das Team von Chelsea-Trainer Claudio Ranieri nicht. Jeder kämpft für den anderen, von einem Zerfall kann nicht die Rede sein. Und dennoch: „Wir haben noch nichts gewonnen“, hatte Felix Magath bereits in den Tagen der großen Euphorie festgestellt. Was schon damals nicht stimmte, kehrt sich nun, angesichts des nicht unwahrscheinlichen Aus in der Champions League und der durchaus vorhandenen Möglichkeit, sich in der Bundesliga nicht erneut für die Königsklasse zu qualifizieren, ins Gegenteil: Der VfB Stuttgart hat viel zu verlieren in den nächsten Monaten. Knapp 20 Millionen Euro schwemmten die Erfolge auf Europas Bühne in die Kasse des Klubs. Demgegenüber standen knapp 16 Millionen Schulden aus der Prasser-Zeit des Gerhard Mayer-Vorfelder. Magath und Staudt setzten gegen interne Widerstände durch, mit dem Geld nicht nur die Schulden zu tilgen, wie es zum Beispiel Finanzvorstand Ulrich Ruf gefordert hatte. Sondern boxten die teuren Vertragsverlängerungen mit Hinkel und Kuranyi und demnächst wohl auch mit Hildebrand durch. Zudem investierte der Klub in der Winterpause 5,5 Millionen in die Schweizer Marco Streller und Hakan Yakin. „Im Vorgriff“, wie Magath bemerkt. Was dies für die Zukunft bedeutet, rechnete Präsident Staudt vor: „Wenn wir uns nicht wieder für das internationale Geschäft qualifizieren, müssten wir darüber nachdenken, wie wir unsere Kosten fortführen könnten.“ Mit anderen Worten: Der VfB ist zum Erfolg verdammt – und weiterhin auf jeden Cent angewiesen.

„Wir dürfen uns nicht verrückt machen“, mahnte am Mittwoch Felix Magath, nicht ohne auf die momentanen Schwächen der Schwaben hinzuweisen. „Wenn wir ein Problem haben, dann haben wir eins vorne“, konstatierte der Coach. Kuranyi, stellte Magath fest, finde im Moment den Weg zum Tor nicht, und deshalb müsse man sich über einen Wechsel der Sturmformation Gedanken machen. Der im Europacup gesperrte Streller könnte somit schon am Samstag gegen Schalke zum Einsatz kommen.

„Da müssen wir durch“, sagt Magath, der trotz Niederlage glaubt, dass das letzte Wort in Sachen Champions League noch nicht gesprochen ist. Für die Fans spricht derweil das Geburtstagskind, Erwin Staudt: „Wir Zuschauer wollen auch mal wieder glücklich nach Hause gehen.“