Das filmische Auge Gottes

Es ist vollbracht: Mit dem umstrittenen Film „Die Passion Christi“ hat sich Mel Gibson einen Herzenswunsch erfüllt

Mel Gibson ist ein tiefgläubiger Mensch. Er gehört der Catholic Church an, einer fundamentalistischen katholischen Splittergruppe. Sein Eifer reicht so weit, dass er aus eigener Tasche 25 Millionen Dollar aufgebracht hat, um eine Herzensangelegenheit wahr werden zu lassen: Sein Film „Die Passion Christi“, vorgestern in den USA mit großem Tamtam angelaufen, will zeigen, wie es wirklich war, als Jesus gekreuzigt wurde.

Mel Gibson, der 48 Jahre alte Schauspieler und Regisseur, hat sich schon oft am Motiv des geschundenen Körpers abgearbeitet – sei es als Darsteller in George Millers vier „Mad Max“-Folgen (1979 bis 2004) oder in Randall Wallaces Vietnamfilm „Wir waren Helden“ (2002), sei es als Regisseur des Oscar-prämierten Kriegsepos’ „Braveheart“ (1995). Jetzt hat er sich des von Peitschen, Ketten, Stöcken und Nägeln misshandelten Leibes Christi angenommen. Der Furor, den er dabei an den Tag legt, ist im Genre der Bibelverfilmung und des Sandalenfilms ohne Vorbild. Eher schon kulminiert in der zweistündigen Splatterfantasie eine Strömung, die aus den Überwältigungsszenarien des Kriegs- und des Actionfilms bekannt ist. Die Kamera dringt in den tausendfach gewaltsam geöffneten Körper fast ein, und dieser Vorgang setzt sich selbst als Realismus. Für Gibson liegt hierin die Wahrhaftigkeit seines Films. Statt die Kreuzigung in pastoral mildes Licht zu tauchen, wird sie als der brutale und blutige Akt gezeigt, der sie war.

Doch warum soll dieser Furor – durch den der Film zu einer fast körperlichen Tortur für den Betrachter wird – wahrhaftig sein? Welcher seltsame Glaube steckt hinter der Auffassung, etwas sei dann wirklich, wenn ein Körper aufgeschnitten, versehrt, gepeinigt wird? Wie grenzt sich das vom Spektakel der Gewalt ab, das dem Lustgewinn dient? Oder ist sich der Regisseur gar nicht des Umstands bewusst, dass er diese Grenze durch die drastische Darstellung überschreiten könnte?

Weil Mel Gibson ein tiefgläubiger Mensch ist, hat er sich gegen die Ratio und deren Methoden versiegelt. Die Aporien seines Projekts kann er daher nicht zur Kenntnis nehmen. „Die Passion Christi“ entlastet Pontius Pilatus und schiebt die Schuld an Jesus’ Tod den jüdischen Hohepriestern sowie dem jüdischen Mob zu? Aber Jesus starb doch aufgrund unserer aller Sünden! Der Film sei antisemitisch? Aber er liebt doch die Juden, so wie er alle Menschen liebt! Der Film lässt außer Acht, was die Geschichtsschreibung über das Jahr 30 unserer Zeitrechnung weiß? Aber er hält sich doch akribisch an die Evangelien! So weiß der Gläubige auf jeden Einwand eine Ausflucht, die in dem ihm eigenen Kosmos Sinn hat – aber eben nur dort.

Angesichts solcher Vermessenheit nimmt es nicht wunder, wenn sich die Kamera in „Die Passion Christi“ zweimal so weit vom Boden löst, dass die Aufsicht nur als Einstellung aus der subjektiven Perspektive Gottes begriffen werden kann. Wer mit Gibson schaut, schaut mit Gott –mit Gibsons Gott. CRISTINA NORD