Kein Geld, aber viel Liebe

Absurde Geschichten über das Bemühen um Wirkung, dessen Ausdruck Verrenkungen und Selbstbespiegelungen sind: Jochen Roller mit dem zweiten Teil seiner Trilogie, der Performance „Art Gigolo“, auf Kampnagel

Das Ende der Arbeitsgesellschaft hatte der Hamburger Choreograf und Tänzer Jochen Roller bereits in No Money, No Love, dem ersten Teil seiner Solo-Trilogie perform performing, lustvoll und pointiert heraufbeschworen.

Nun kam mit der Uraufführung von Art Gigolo auf Kampnagel der „Sinn und Unsinn, Tanz als Arbeit zu betrachten“ als zweiter Teil hinzu (ein dritter folgt). Die Kaffeebohnenzählerei hat hier ein Ende. Kunst ist Luxus – viel zu schade, um in Mengen eingetüteter Briefe und zusammengelegter Hemden aufgerechnet zu werden. So schlüpft Jochen Roller nach der Pause aus der Trainingshose in den Designeranzug, tauscht die kunterbunte Warenhausbühne gegen ein sparsam gestyltes Studioambiente. Denn eins ist klar: Die Zeiten ohne Geld und Liebe sind abgelaufen, der Kunst-Gigolo betritt das Parkett. Liebe ist sein Ein und Alles. Kein Preis ist zu hoch, um Wirkung zu erzielen. Kopfüber gefaltet wie ein Hemd legt sich der Tänzer nun selbst auf den Boden, singt ein Lied, spürt in dieser grotesken Haltung hingebungsvoll den süßen Duft des Erfolges nahen.

Doch damit ist die Kunst noch nicht am Ende. Sie schmeckt schlechtestenfalls wie ein gepanschter Cocktail, bei dem an den Zutaten gespart wurde. Denn der Blick durchs Fernrohr verrät dem Choreographen einzig, dass kein Geld da ist. Erst unter dunkler Brille, während er ein schwarzes Gymnastikband wie eine züngelnde Schlange um den Kopf kreisen lässt, zeigen sich ihm zukünftige Visionen, in denen sich die Anhänger einer Church of Performance zum heiligen Ritual des Betrachtens von Tanzvideos aus Zeiten der Kulturförderung zusammenfinden.

Jochen Roller entwickelt sich in solchen Momenten zum hinreißend absurden Geschichtenerzähler. Die Bilder, die er in seiner lakonischen Art der Performance dazu entwirft, treffen immer wieder ins Schwarze. Lange hat man den Tanz nicht so intelligent und amüsant auf den Punkt gebracht gesehen. Zwei Stunden vergehen da wie im Fluge. Und am Ende bleibt die Liebe. Verliebt zu sein in die Liebe, und sei es die Selbstliebe, das ist der Schlüssel zum Glück. Ein tödlicher Kreislauf für die Kunst zwar, und doch ein Ausweg aus dem Dilemma. Denn Verliebtsein kostet nichts – und macht auch keine Arbeit. So kehrt Roller noch einmal auf die Bühne zurück – nackt – scannt wie ein Roboter in mechanischen Schritten die Zuschauerreihen ab, bleibt stehen und beginnt mit den Hüften zu wackeln, dass sein Gemächt im Takt hin und her schwingt. Das ist so göttlich komisch wie entlavend dämlich. Marga Wolff

nächste Vorstellungen: 3.+4.5., 19.30 Uhr, Kampnagel