Umtoste Agenda 2010

Gegenwind für Kanzler Schröder bei der 1. Mai-Kundgebung auf dem Bremer Domshof: DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer erteilt den „selbst ernannten Modernisierern, die Reform sagen und platten Sozialabbau meinen“, eine Absage

Am Mittwoch kommt der „Agenda“-Kanzler nach Bremen, um Betriebe zu besuchen

taz ■ Als der Wind gestern Mittag über den Domshof fegte, griff Helga Ziegert zur Wetter-Metaphorik: „Dieser Sturm spiegelt die Lage wider, in der sich unser Land befindet“, sagte die DGB-Kreisvorsitzende, die für die SPD in der Bürgerschaft sitzt. Optimistisch sprach sie von „über 6.000 Kolleginnen und Kollegen“, die zur traditionellen Maikundgebung gekommen seien, um „für unsere richtigen und gerechten Forderungen einzutreten“.

Im bunten Demonstrationszug waren zuvor rund 2.000 Menschen durchs Viertel gezogen: von Gewerkschaften und Betriebsräten über die PDS bis hin zur Arbeiterkommunistischen Partei Iran. Ihr Protest richtete sich in diesem Jahr auch gegen die von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Rot-Grün geplanten Sozialreformen. Des Kanzlers „Agenda 2010“ sieht unter anderem Kürzungen bei den Arbeitslosenbezügen, Einschränkungen beim Kündigungsschutz und eine Privatisierung des Krankengelds vor. „Schröders Wahllüge heißt: mehr soziale Gerechtigkeit wagen“, stand auf einem Transparent. Und auf einem anderen: „Wir fordern es mit Wonne: Hartz und Rürup in die Tonne.“

Die Gewerkschaften seien keineswegs „Betonköpfe, die aus Prinzip gegen alles sind“, sagte Helga Ziegert. Auch der DGB wisse, dass Reformen dringend nötig seien. Es gehe jedoch nicht an, „dass alleine diejenigen die Lasten tragen, die ohnehin wenig haben“. Die Arbeitgeber dagegen würden „einseitig aus ihren Verpflichtungen entlassen.“ Der Bundeskanzler solle schleunigst seine Drohung wahrmachen, dass Betriebe, die nicht ausbildeten, zur Kasse gebeten würden.

Hauptrednerin und stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, bekannt aus Funk und Fernsehen, erteilte „allen eine Absage, die Reform sagen und platten Sozialabbau meinen“. Darunter wollte sie ausdrücklich auch die Verfechter der „Agenda 2010“ verstanden wissen. Allerdings würden sich die Arbeitnehmervertreter derzeit auch „einer unglaublichen Diffamierungs-Kampagne“ von Oppositionspolitikern ausgesetzt fühlen, so Engelen-Kefer. FDP-Chef Guido Westerwelle warf sie „einfältige und unanständige Hetze gegen die Gewerkschaften“ vor, weil er deren Funktionäre jüngst als „Plage für Deutschland“ beschimpft habe.

Engelen-Kefer rief dazu auf, die „selbst ernannten Modernisierer“ daran zu hindern, „sich an unseren Sozialversicherungssystemen zu vergreifen“. Stattdessen forderte die DGB-Vize, dass die großen Konzerne „endlich wieder Körperschaftssteuer zahlen und damit ihren Anteil an der Finanzierung unserer sozialen Infrastruktur leisten müssen“. Durch die „falsche Steuer- und Finanzpolitik“ der Regierung seien die Kommunen nicht mehr in der Lage, in Bildung und damit „in die Zukunft unserer Kinder und Enkel“ zu investieren. Bei aller Notwendigkeit ihrer Reform dürfe die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung nicht zerstört werden, sagte Engelen-Kefer.

Die SPD gab unterdessen bekannt, dass Gerhard Schröder am Mittwoch nach Bremerhaven und Bremen reisen werde, um „Betriebe zu besuchen“: das Container-Terminal Wilhelm Kaisen und das Raumfahrt-Unternehmen Astrium. Anschließend will Schröder an einem Senatsempfang für sozial engagierte SchülerInnen im Rathaus teilnehmen. Einen öffentlichen Auftritt des „Agenda“-Kanzlers wird es im Bremer Wahlkampf aber nicht geben. Markus Jox