Das Licht, die Lücke und die Dummheit

Die Walpurgisnacht im Mauerpark beginnt friedlich. Die Polizei hält sich extrem zurück. Dann nutzen Unermüdliche die Gelegenheit für Randale

„Da unten“, erklärt der Beamte seinen Kollegen mit einer weit ausschweifenden Handbewegung über die Altbauten von Mitte, „liegt Prenzlauer Berg. Ein wirklich charmanter Stadtteil.“ Das Areal rund um den Mauerpark in Prenzlauer Berg ist am frühen Abend der Walpurgisnacht fest in der Hand von Zugereisten. Am Jahn-Stadion stehen Polizeihundertschaften aus Bochum, in der Eberswalder Straße parken die Kollegen aus Recklinghausen, in der Oderberger zeigt Gelsenkirchen Präsenz.

Auch die sonstigen Besucher glänzen nicht gerade mit Ortskenntnis. „Wo ist denn jetzt der Park?“, fragt ein Punk wenige Meter vom Eingang entfernt. Andere suchen einen Supermarkt oder eine nette Kneipe, weil „hier ja noch nichts los ist“.

Die Wiese füllt sich erst nach und nach. Selbst kurz vor Mitternacht, als hier mehrere tausend meist junge Besucher ihr Abendbier trinken, herrscht kein Gedränge. Die neue Übersichtlichkeit ist auch der Polizeistrategie zu verdanken. Die ganze Nacht über ist das Fluchtlicht des Jahn-Stadions angeschaltet. Die Feiernden teilen sich in Romantiker und Ästheten. Erstere bedauern, dass durch das Licht die Feuer nicht richtig zur Geltung kämen. Letztere begeistern sich über den ungewohnten Parkblick: das satte Grün des Rasens, die rotweißen Blüten der Bäume unter einem violetten Himmel.

Auch sonst ist vieles anders als in den Vorjahren. Auf der Eberswalder Straße, wo 1999 die Polizei noch eine unangemeldte „reclaim the streets“-Party in einem fünfstündigen Kessel beendete, werden die vom U-Bahnhof Heranströmenden mit Barrikaden aus Bierbuden empfangen.

Im Park leuchten inzwischen zwei große Feuer. Was der Polizei ab Mitte der 90er-Jahre regelmäßig als Eingreifgrund diente, ist diesmal erlaubt. Das Holz hat das Bezirksamt spendiert. Nur als Punks zusätzlich Äste von Bäumen brechen, kommt es zu einer Rangelei – mit parkliebenden Besuchern. Sie bleibt kurz. „Komm, wir gehen zur Straßenschlacht“, witzelt jemand, als gegen 21 Uhr die Antifa vorfährt.

Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) hat dort mit zweistündiger Verspätung ihren Bühnentruck geparkt. Am Vorabend des 1. Mai wollen sie hier ein paar Leute für ihre Demonstration mobilisieren. „From Protest to Resistance“ steht auf einer Seite des Lkw. „Resistance heißt Widerstand“, erklärt ein Polizist seinem Kollegen. Der Widerstand bleibt verbal. Anschließend erfreuen zwei Bands die Umstehenden.

So plätschert das Fest vor sich hin. Weder Regen noch zusätzliche illegale Feuer ändern etwas an der friedlichen Lage. „Etwas lau“ sei die Stimmung, meint jemand. Fast niemand hat Trommeln mitgebracht, und Hexen, die eigentlich eine Walpurgisnacht ausmachen sollten, sind nicht zu sehen, nur ein paar gespenstisch geschminkte, aber friedliche Gruftis.

Gegen halb zwölf entdeckt die Polizei ein Loch im Zaun auf der Weddinger Parkseite. Sie stellt das Gitter wieder auf. Schnell sammeln sich ein paar Jugendliche, die Beamten werden als „Faschisten“ beschimpft, die „fleißig für ein neues 33“ üben würden. „Ich red mal mit denen, damit das hier nicht eskaliert“, erklärt ein Grufti seiner Freundin. Ein Beamter versichert ihm lächend, man werde das Fest nicht auflösen.

Doch dann haben die wenigen Krawallsüchtigen endlich einen Ort gefunden. Als der Antifa-Truck kurz vor Mitternacht abzieht, bleibt auf der Eberswalder Straße zwischen den Feiernden im Park und der Polizei eine Lücke – mit exakter Wurfdistanz. Angetrunkene Jugendliche schleudern leere Flaschen. Stupide „Haut ab! Haut ab!“-Rufe erklingen. Die Polizei hat sich schon zurückgezogen und eine Kette gebildet. Mit stoischer Ruhe lassen die nun Schildbewerten einen Hagel aus Flaschen über sich ergehen.

Vereinzelt versuchen Festbesucher die Randalierer von ihren Attacken auf den „faschistischen Scheißstaat“ abzuhalten – und ernten dafür teilweise Prügel. Dennoch scheint es fast so, als könne das besonnene Verhalten der Polizei deeskalieren. Doch die Randalesüchtigen haben mittlerweile ein neues Ziel gefunden: eine Polizeikette oben am Hang. Hier gibt es kein Halten mehr. Fast ausschließlich deutschstämmige Jugendliche stürmen den Hügel hinauf. „Geil, es geht los“, ruft einer und wirft eine leere Flasche. Jetzt fühle er sich besser, meint er dann. Im Hintergrund tanzt die weitaus überwiegende Menge weiter friedlich um die Feuer.

Erst gegen halb eins hat die Polizei genug. Plötzlich liegt Tränengas über dem Park. Mehrere Hundertschaften stürmen im Flutlichtschein den Hang herunter und prügeln die Menge wahllos auseinander. Wer nicht schnell genug zu einem der Ausgänge flüchten kann, landet in der Falle vor dem Zaun. Wer darüber klettert, wird mit Knüppeln empfangen und abgeführt. Wer davor bleibt, wird in die Zange genommen. Nach wenigen Minuten ist die Wiese fast komplett geräumt. Hier und da bleiben Verletzte zurück.

Es folgt das übliche Gerangel. Die Massen werden von Polizeiketten teils unter Einsatz des Wasserwerfers in die Seitenstraßen gedrängt. Niemand weiß so wirklich, wie er aus dem Chaos entkommen kann. Andere haben noch immer nicht genug. In der Wolliner Straße wird ein Bauwagen umgestürzt, neben der Sparkasse in der Kastanienallee zünden Vermummte einen Schuttcontainer an.

Sichtlich besoffene Punks liefern sich in der Oderberger Straße Scharmützel mit behelmten Beamten. Hundert Meter weiter sammelt sich eine Gruppe Jugendlicher. Einige von ihnen ziehen schwarze Kappen über, laufen auf die nächste Baustelle zu, zerren Gitter und Schutt auf die Straße. Später überrennt ein Polizeitrupp eine friedliche Menge auf der Kreuzung zur Kastanienallee. Von der Deeskalation ist nichts geblieben – auf keiner Seite. GEREON ASMUTH, FELIX LEE