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nie glaubte ich an den kampf der kulturen und fand ihn doch von WIGLAF DROSTE

Die Ministerin für Verbraucherschutz Renate Künast lud zum Salon: „Dialog und die Bereitschaft sich wechselseitig zuzuhören scheinen in diesen Tagen wieder einmal Tugenden ohne Unterleib zu sein … Ich habe mich deshalb entschlossen, dieser Dialogwüste eine Oase des Dialoges zwischen Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien, Wissenschaft und Gewerkschaften entgegenzustellen.“ Darüber wollte ich selbstverständlich alles wissen, doch gebot die enge Terminplanung, zunächst ein Vollbad in der toten DDR zu nehmen. Zur Exumierung lud die „Stiftung Aufarbeitung“ ins Berliner Rote Rathaus, weil 25 Jahre zuvor Erich Loests Roman „Es geht seinen Gang …“ erschien. Wenn einer die morschen Dissidentenknochen an der Asche der DDR wärmen muss, um sich lebendig zu fühlen, dann ist ihm kein Anlass zu dürftig.

Pfarrer Rainer Eppelmann, Vorsitzender der Stiftung Aufwärmen, nutzte die Gelegenheit, 20 Minuten am Stück so etwas zu sagen: „Das Verhältnis zwischen den Dichtern und dem Staat ist ein beinahe sprichwörtlicher Gegensatz, der die Entwicklung der europäischen Länder seit ihren Anfängen in durchaus unterschiedlichem Maß begleitet hat.“ Kein Übersetzungsprogramm der Welt könnte aus diesem Klumpatsch einen deutschen Satz machen – was aber die Zonenbürgerrechtler nicht juckt, die weiter im eigenen Saft schmoren und in einer endlosen Murmeltiertag-Wiederholungsschleife die Bedeutung ausstellen, die sie so gern gehabt hätten. Sie, die DDR-Hasser, haben nichts als dieses verschwundene Land und ihr eigenes pfäffisches Geschrei darüber. Dass man in der DDR nicht habe leben können, beschwören sie mit jeder Silbe, doch merkt man ihnen an, dass die Zeit in der Zone die einzige war, in der sie vielleicht so etwas Ähnliches wie am Leben waren. In den krampfadrigen Versuchen, sie wiederzubeleben, wird die Welt der Bürgerrechtler sichtbar: eine Republik der Gartenzwerge, die sich wechselseitig Untergrund und Volldissidenz vorspielen und ihre evangelische Schwerblütigkeit für ganz gefährlich und aufregend halten.

Dass „die Deutschen getrennt leben mussten“, wurde sehr beheult – durften!, hätte es heißen müssen. Der aufdringlichste Klampfkopf von allen war als Gipfel des Wiederauferstehungsabends ausgekuckt worden: Wolf Biermann wühlte effekthascherisch in den Saiten seiner Gitarre, auf der Straße lalülalate ein Wagen vorbei, einen Moment der Hoffnung stiftend: Würden die Männer in den weißen Jacken kommen? Leider nein, und der pathetische Kampfzwerg brömmelte vor sich hin: „Ich lebe noch … ich bin noch frisch … pa da da duuuh …“

Wenn man Wolf Biermann erst glücklich entwichen ist, scheint alles schön oder immerhin leicht erträglich. In Renate Künasts Salon erfuhr ich zwar nichts über Tugenden mit oder ohne Unterleib, nichts über Dialogwüsten und -oasen, aber niemand sielte sich in Leichenschmodder oder grunzte zur Gitarre, und die gereichten Schnitten waren so gut, wie sich das für eine Verbraucherschutzministerin auch gehört.

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