Sozialpolitische Demontage

betr.: Berichterstattung über die SPD-Querelen

Gerhard Schröder wird Anfang Juni mit ruhiger Hand und stählernem Hammer seine trotzkistische Parteilinke genauso niederschmettern wie die Arbeitslosen seiner Regierungsjahre. Die Diätenerhöhungen in Kiel und Berlin zeigen das Sozial-Positive-Diäten-Verständnis der SPD-Nomenklatura. Wer 40 Monate seinen Hintern in Schröders Kabinett breitgesessen und das Wohl des Volkes mit ruhiger Hand verschlafen hat, wird fürstlich belohnt oder wie Ex-Veba-Chef Müller weiterbefördert. Wer 40 Jahre hart gearbeitet, eine Demokratie aufgebaut, keine Pflastersteine geworfen hat und arbeitslos wird, wird von Ex-VW-Aufsichtsrat Schröder seiner Ansprüche beraubt. Die Agenda „Schröder bis 2010“ ist kein Impuls für einen wirtschaftlichen Aufbruch, keine Strategie für eine Politik zum Wohle der Bürger, sondern eine Sammlung Brüning’scher Notverordnungen zur Machterhaltung, der Übergang von einer sozialen Demokratie zum real existierenden Privatsozialismus des Genossen Schröder: „Ich bin das Volk.“

S. KOELBLE, Bonn

betr.: „SPD: Eine Partei namens Schröder“, taz vom 15. 4. 03

Das Problem ist vielleicht nicht, dass die SPD Schröder ist oder heißt. Möglicherweise liegt der Grund für Schröders neuerlichen Erpressungsversuch darin, dass es für den grandiosen Politikentwurf namens „Agenda 2010“ keine Begründung gibt. Schon gar keine sinnvolle soziale oder demokratische. Höchstens eine sozialdemokratische, also eine schröderische. Und die muss weder Sinn noch Verstand haben, sondern nur dem dienen, was Schröder für den Erhalt der Macht nennt. „Sie denken, sie seien an der Macht, aber sie sind nur an der Reigerung.“ Ist zwar nicht von Tucholsky, stimmt aber nach wie vor. Übrigens auch für die B-52-Grünen. Deren Name jedoch nicht Klein-SPD ist, sondern Fischer.

RICHARD KELBER

670.000 SPDler sollen geschlossen nicken, wenn Arbeitslose und ihre Familien in Zukunft an den Rand ihrer Existenz gebracht werden. Der Widerstand einiger Aufrechter gegen unverhältnismäßigen Sozialabbau wird von der SPD-Führungsriege Vertrauensbruch genannt. Dabei verhält es sich genau umgekehrt.

Die Herren Schröder, Müntefering und Co. sind mal wieder dabei, des Wählers Vertrauen zu missbrauchen. Die Rechnung wird nur aufgehen, solange der deutsche Michel weiter schläft. Kommt aber irgendwann das Aufwachen, dann könnte es ein böses Erwachen geben, weil die Kluft zwischen Armen und Reichen so groß geworden ist. Eine solche Gesellschaft ist nach modernen Maßstäben dann nicht mehr funktionsfähig, weil es für einen großen Teil der Bevölkerung keine Partizipation und keine Identifikation mehr mit ihr gibt.

Der Wert und die Leistungsfähigkeit einer Demokratie bemisst sich genau daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Gesellschaft umgeht, denjenigen, die keine Lobby haben. Die SPD ist mal wieder auf dem besten Wege, ihre Tugenden dem Machterhalt zu opfern. […] STEFAN DERNBACH, Siegen

betr.: „Sonderparteitag ist bedenklich“, Interview mit DIW-Chef Klaus Zimmermann, taz vom 17. 4. 03

„Momentan gibt es für Arbeitslose und Bezieher von Sozialhilfe zu wenig Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Es lohnt sich für sie nicht, weil der Abstand zu den niedrigen Löhnen zu gering ist.“ Da lachen ja die Hühner! „Momentan“ war schon vor 20 Jahren brandaktuell – und Thema meiner Diplomarbeit. Ergebnis: Die übergroße Mehrheit der Sozialhilfeempfänger ist allein stehend, nur mit mehreren Kindern erreichen die untersten Lohngruppen schon mal Sozialhilfeniveau, weil Kindergeld nicht den realen Bedarf deckt und beschissene Arbeit beschissen bezahlt wird. Sozialhilfe ist nun mal bedarfsorientiert, Arbeitseinkommen nicht. Wer damit ein Problem hat, hat Probleme mit unserem System Sozialstaat an sich und allein ideologische Gründe in petto.

„Dann muss man trotzdem bei den Arbeitslosen kürzen. Wir können uns das bisherige Leistungsniveau nicht mehr leisten.“ Wir? Uns? Herr Zimmermann meint wohl diejenigen, immer weniger werdenden, auf deren Schultern unser Sozialsystem immer mehr geladen wird. Und offensichtlich nicht die, immer mehr werdenden, die zur finanziellen Leistung fähig, aber immer weniger dazu auch verpflichtet snd – zu denen er als renommierter Wirtschaftswissenschaftler augenscheinlich dazugehört. Aber auch das gab’s schon vor 20 Jahren.Wirtschaftswissenschaft? Politik! Ideologie halt. WINFRIED SCHNEIDER, Düsseldorf

betr.: „Rezept mit Nebenwirkungen“, taz vom 29. 4. 03

Barbara Dribbusch ist zu danken für einen einfachen Vergleich: Wegfall der Vermögenssteuer: 4,6 Milliarden Euro. Sparen der Arbeitslosen bei den Kürzungen für die Arbeitslosenhilfe: 3 Milliarden Euro. Die Rot-Grünen aber reden von notwendiger Modernisierung und befürworten eine sozialpolitische Demontage, die diese Gesellschaft noch teurer zu stehen kommen wird. In dem Modellstaat USA werden die Knäste immer voller (zwei Millionen!) und Eminem und die Rüstungs- und Sicherheitsindustrie immer reicher.

Den gut versorgten SorglospolitikerInnen aller Parteien fehlt es an Nebenwirkungen andererseits.

HALINA BENDKOWSKI, Berlin

betr.: „Simulation einer Revolution“ (Erste SPD-Regionalkonferenz), taz vom 30. 4.03

Schröder sollte selbst die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Das Problem sind nicht ein paar Leute, die vielleicht nicht arbeiten mögen. Gegen die haben die Arbeitsämter schon seit langem das nötige Arsenal an Sanktionen zur Verfügung. Das Problem ist, dass viele Menschen, die Arbeit suchen, keine finden, dass älteren oder Langzeitarbeitslosen kaum noch eine Chance gegeben wird. Diese jetzt dafür auch noch mit weiteren Kürzungen zu bestrafen, ist wirklich purer Zynismus. Genau wie in der Kohl-Ära wird nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft sondern die Arbeitslosen.

UWE LORENZEN, Flensburg

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