Schlafmoden

Die Teilung des Wohnens in Leben und Schlafen und die Trennung der Schlafräume von Eltern und Kindern ist als vorherrschende Wohnform kaum älter als hundert Jahre. Nach gängiger wissenschaftlicher Meinung gibt es keinen natürlichen Trieb des Menschen, sich im Schlaf zurückzuziehen. Warm und Platz sparend schliefen noch im Bauernhaus der Frühen Neuzeit alle Familienmitglieder unter einer Decke – zur Familie gehörten alle Generationen und sogar das Personal.

Das beliebige Teilen von Schlafstätten wurde den Menschen nach und nach zuwider. Zunächst denen, die sich mehr Platz leisten konnten. Die Herrscher des Absolutismus konnten ihre privaten Schlafgemächer nicht pompös genug in Szene setzen. Die größte Ehre am Hofe Ludwigs XIV. war eine Audienz im Schlafzimmer des Sonnenkönigs – während der im Bett lag. Gern ließ er sich auch vor aller Augen an- und auskleiden.

Als das Schlafzimmer im 19. Jahrhundert vom Luxus der Superreichen zur Selbstverständlichkeit für Stadtbürger avancierte, wurde es abgeschottet. In der Nacht wurde geschlafen, nicht zu viel und nicht zu warm, das verweichlichte und hielt vom Tagwerk ab. Verbunden mit dem dichten Schleier, der sich über jedes Signal der Sexualität legte, glich der Raum mehr und mehr „einem Tempel, der der Fortpflanzung und nicht der Wollust vorbehalten war. Die Zeiten, in denen man Besucher auch in einem Zimmer empfangen konnte, in dem ein Bett stand, waren endgültig vorbei.“ So beschrieben in der „Geschichte des privaten Lebens“ von Philippe Ariès und Georges Duby (5 Bde., Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995, 124 Euro).

Das Schlafzimmertabu war geboren, zugleich kam das Modewort „Intimität“ auf. Dieses sei zwar nicht generell Synonym für Sexualität, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Marianne Streisand („Intimität“, Wilhelm Fink Verlag, München 2001, 41 Euro), es sei im Laufe des 19. Jahrhunderts aber sexuell aufgeladen worden. Im Eheschlafzimmer kam es zu „Intimitäten“.

Heute sind die Sitten verlottert, junge Menschen heiraten nicht mehr, leben in offenen Wohnschlaf-WG-Zimmern oder betreiben unintime Webseiten wie www.jennicam.org. Seit 1996 lässt die Amerikanerin Jennifer Ringley sich dort in ihrer Wohnung beobachten, aus Spaß auch beim … Schlafen. WIEBKE HOLLERSEN